Das Finanzgericht Münster hatte darüber zu entscheiden, ob Kosten für eine doppelte Haushaltsführung anerkannt werden können, wenn die Zweitwohnung näher am Familienwohnsitz als an der Arbeitsstätte liegt
Die Kläger sind Eheleute und wurden für die Streitjahre 2010 und 2011 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Professor in B und bezieht Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 EStG. Die Klägerin bezieht als angestellte Buchhändlerin im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses ebenfalls Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Beschäftigungsort der Klägerin und Familienwohnsitz der Kläger mit den beiden gemeinsamen Kindern ist H .
Bereits im Jahr 2007 wechselte der Kläger von P an die Universität nach B, als er dort die Möglichkeit erhielt, vertretungsweise einen Lehrstuhl zu übernehmen. Um sich mit den Gepflogenheiten in B und der Universität vertraut machen zu können, nahm er eine Wohnung in der Nähe der Universität. Parallel zur Lehrstuhlvertretung durchlief der Kläger ein Berufungsverfahren für eine andere Professur an der Universität in B, die er dann im Herbst 2007 erhielt. Bereits im Spätsommer 2007 kündigte der Kläger seine Wohnung in B und suchte nach einer für sich geeigneten Wohnung in E. Er entschied sich für E deshalb, weil dort zwei Bibliotheken ansässig sind, die im Fachbereich des Klägers sehr gut ausgestattet sind. In seinem Fachgebiet besteht die Arbeit des Klägers im Wesentlichen im Literaturstudium. Die Bibliotheken sucht er dabei im Schnitt drei bis fünf mal im Monat auf, wobei die Nutzung entsprechend seines Arbeitsfortschritts unterschiedlich intensiv ist. Maßgeblich ist aus Sicht des Klägers der schnell mögliche Zugriff.
Die Lehrverpflichtungen des Klägers belaufen sich im Schnitt auf fünf Veranstaltungen pro Woche. Außerdem ist er geschäftsführender Direktor eines Instituts und somit bestimmten Verwaltungsaufgaben und Verpflichtungen, z. B. an Fachbereichssitzungen teilzunehmen, betraut.
In den Einkommensteuererklärungen 2010 und 2011 machte der Kläger Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten geltend. Im Wesentlichen handelte es sich um die Kosten der Unterkunft des Klägers in E, diverse Einrichtungsgegenstände und die Aufwendungen für die Heimfahrten nach H.
Die Entfernung der vom Kläger bewohnten Wohnung in E zum Familienwohnsitz nach H beträgt 47 km, die Entfernung zur Arbeitsstätte in B 83 km.
Die Wohnung in E , A-Straße 44, ist in einer Entfernung von ca. 4 Kilometern zu der besonders genutzten Bibliothek belegen. Die Autobahn nach B ist schnell zu erreichen.
Bei der Einkommensteuerfestsetzung für 2010 durch Bescheid vom 03.08.2011 und für 2011 durch Bescheid vom 29.06.2012 berücksichtigte der Beklagte die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen zur doppelten Haushaltsführung nicht als Werbungskosten, da der Wohnsitz in E zu weit vom Arbeitsort entfernt liege und deshalb nicht als Wohnung am Beschäftigungsort des Klägers angesehen werden könne.
Gegen die Einkommensteuerfestsetzungen erhoben die Kläger nach insoweit erfolglosem Einspruchsverfahren Klage zum Finanzgericht Münster und hatten bezüglich des hier streitigen Punktes auch Erfolg.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Sätze 1 und 2 EStG sind Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt dabei nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, an dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch „am Beschäftigungsort wohnt“. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass die letztgenannte Voraussetzung nicht nur dann erfüllt ist, wenn der Arbeitnehmer sich in der politischen Gemeinde seiner Arbeitsstätte eine Wohnung nimmt, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer in der Umgebung, d. h. im Einzugsgebiet der politischen Gemeinde wohnt1. Von diesen Grundsätzen ist der Bundesfinanzhof bereits in seinem Urteil vom 09.11.19712 ausgegangen. In der gleichen Entscheidung hat der Bundesfinanzhof aber auch betont, ein Wohnen am Beschäftigungsort sei nicht mehr anzunehmen, wenn bei der Wahl des Wohnortes offenbar die Lage der Familienwohnung eine maßgebende Rolle gespielt habe, so wenn sich die Zweitwohnung des Arbeitnehmers an einem Ort befinde, der näher zum Ort der Familienwohnung als zur Arbeitsstätte gelegen sei und an dem andere Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsstätte in der gleichen politischen Gemeinde hätten wie der einen doppelten Haushalt führende Arbeitnehmer, üblicherweise nicht wohnten. In einem derartigen Fall schließe § 12 Nr. 1 EStG unter Umständen eine Anerkennung von Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung aus. In seinem Urteil vom 19.04.20123 geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass ein Arbeitnehmer in einer Wohnung am Beschäftigungsort jedenfalls dann wohnt, wenn er von dort aus ungeachtet von Gemeinde- oder Landesgrenzen seine Arbeitsstätte täglich aufsuchen kann. Maßgeblich sei dabei, dass die fragliche Wohnung in der Weise am Beschäftigungsort, nämlich so zur Arbeitsstätte gelegen sei, dass der Arbeitnehmer in zumutbarer Weise täglich von dort seine Arbeitsstätte aufsuchen könne. Ob dies der Fall sei, sei aufgrund der Berücksichtigung und Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, wobei insbesondere die individuellen Verkehrsverbindungen zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte maßgeblich seien. Die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sei zwar ein wesentliches, allerdings nicht allein entscheidungserhebliches Merkmal.
Ausgehend von diesen Rechtsprechungsgrundsätzen geht das Finanzgericht Münster im vorliegenden Fall davon aus, dass der Kläger mit der Wohnung in E eine Wohnung am Beschäftigungsort inne hat.
Ausgangspunkt der Überlegungen des Finanzgerichts Münster ist dabei die Tatsache, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz in B nicht in zumutbarer Weise von seinem Familienwohnsitz in H aus arbeitstäglich – wie dies angesichts des Vorlesungsplans des Klägers zumindest in der Vorlesungszeit erforderlich ist – erreichen kann. Denn beide in Frage kommenden Wegstrecken waren und sind in erheblicher Weise baustellen- und staubelastet, sodass ein arbeitstägliches Pendeln mit Fahrzeiten von bis zu zwei Stunden pro Strecke nicht zumutbar und damit die Nutzung einer Zweitwohnung am Beschäftigungsort angezeigt ist.
Die vom Kläger in E genommene Zweitwohnung ist auch als Wohnung am Beschäftigungsort anzusehen, da sie unter Zugrundelegung der Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 19.04.20123 noch als im Einzugsbereich von B belegen anzusehen ist. Denn die Anforderung des Bundesfinanzhofs, dass der Arbeitsplatz von der Zweitwohnung aus in zumutbarer Weise zu erreichen sein muss, erfüllt die vom Kläger in E genommene Wohnung. Der Kläger kann nämlich von dieser Wohnung aus seinen Arbeitsplatz trotz der Entfernung von 83 Kilometern in unter einer Stunde Fahrzeit erreichen. Im übrigen handelt es sich nach Auffassung des Finanzgerichts Münster um eine heutzutage durchaus übliche Pendelstrecke und Pendelzeit. Hinzu kommt, dass E mit den dort ansässigen Bibliotheken, zu denen die Wohnung des Klägers ebenfalls günstig gelegen ist, einen weiteren für den Beruf des Klägers gewichtigen Standortvorteil bietet, ohne dass es nach Auffassung des Senats letztlich ausschlaggebend ist, wie häufig der Kläger diese Bibliotheken nutzt. Dass der Kläger sie tatsächlich nutzt, steht aufgrund des differenzierten Vortrags des Klägers zur Ausstattung der Bibliotheken in seinem Fachgebiet in B und E und zur nur geringen Digitalisierungsquote hinsichtlich der Literaturbestände seines Fachbereichs zur Überzeugung des Senats fest und wird im Übrigen vom Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen. Ein diesbezüglich gleichwertiger Standort für eine Zweitwohnung im Einzugsbereich von B ist nicht ersichtlich.
Bei dieser Sachlage kommt dem Umstand, dass E auch zur Familienwohnung des Klägers günstig gelegen ist und so den familiären Kontakt unter der Woche erleichtert, kein die vorrangig berufliche Veranlassung überlagerndes Gewicht mehr zu.
Zu den Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung gehören auch die Kosten für die Anmietung einer Garage am Beschäftigungsort4.
Das Finanzgericht Münster hat die Revision zur Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.
Finanzgericht Münster, Urteil vom 27.06.2013 – 3 K 4315/12
- BFH, Beschluss vom 02.10.2008 – VI B 33/08 [↩]
- BFH, Urteil vom 09.11.1971 – VI R 96/70, BStBl. II 1972, 134 [↩]
- BFH, Urteil vom 19.04.2012 – VI R 59/11, BStBl. II 2012, 833 [↩] [↩]
- BFH, Urteil vom 13.11.2012 – VI R 50/11, BStBl. II 2013, 286 [↩]