Ist der Einwurf einer Steuererklärung am letzten Tag der Antragsfrist fristwahrend, wenn er beim unzuständigen Finanzamt erfolgt?
Hierüber hatte nun das Finanzgerichts Köln zu entscheiden und hat diese Frage bejaht.
In dem entschiedenen Fall warf die heutige Ehefrau des Klägers dessen Einkommensteuererklärung 2009 am 31.12.2013 gegen 20.00 Uhr beim Finanzamt R in den Nachtbriefkasten. Hierin erklärte der Kläger ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie Einnahmen als Kapitalvermögen unterhalb der Freibeträge und anrechenbare ausländische Steuern i.H. von 0,81 €. Der Kläger wohnte zu diesem Zeitpunkt im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts R1. Die Erklärung ging erst im Jahr 2014 dort ein.
Mit Verfügung vom 18.2.2014 lehnte das beklagte Finanzamt die Veranlagung ab, da der Antrag nicht innerhalb der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 AO gestellt worden sei.
Den hiergegen erhobenen Einspruch wies das beklagte Finanzamt mit Entscheidung als unbegründet zurück. Die Festsetzungsfrist habe am 31.12.2013 geendet. Es lägen auch keine Umstände vor, die zu einer Hemmung der Festsetzungsfrist führen würden. Auch komme keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht, da § 110 AO nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs1 nicht auf den Ablauf der Festsetzungsfrist anwendbar sei.
Mit der hiergegen gerichteten Klage verfolgt der Kläger sein Veranlagungsbegehren fort. Er und seine heutige Ehefrau seien am Silvesterabend auf einer privaten Feier in K eingeladen gewesen. Von ihrem gemeinsamen Wohnort in R2 seien sie zunächst in Richtung R3 gefahren, um sodann auf die Autobahn Richtung G und schließlich über die Autobahn nach K zu gelangen. Da sich das Finanzamt R quasi auf dem Weg befunden habe, hätte man sich kurzerhand entschlossen, die Einkommensteuererklärung dort einzuwerfen. Er – der Kläger – sei davon ausgegangen, dass es keine entscheidende Rolle spiele, bei welchem Finanzamt in R die Erklärung eingeworfen werde, solange dies fristwahrend noch am 31.12.2013 erfolge. Seines Erachtens handele es sich bei den Finanzämtern R1 und R lediglich um zwei Liegenschaften der Finanzverwaltung NRW. Dies werde auch dadurch dokumentiert, dass Briefumschläge beider Finanzämter lediglich „Finanzverwaltung NRW“ als Absender ausweisen. Schließlich verweist der Kläger auf H 46.2 der Einkommensteuerrichtlinien, wo unter dem Stichwort „rechtswirksamer Antrag“ ausgeführt werde, dass ein Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer innerhalb der allgemeinen Festsetzungsfrist beim Finanzamt eingehen müsse. Hierdurch schaffe die Finanzverwaltung einen Vertrauenstatbestand.
Der Finanzgericht Köln hat der Klage stattgegeben.
Der Beklagte ist nach § 25 Abs. 1 EStG verpflichtet, die Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer 2009 durchzuführen. Denn der Kläger hat durch Einwerfen seiner Steuererklärung am 31.12.2013 beim Finanzamt R innerhalb der Festsetzungsfrist wirksam einen Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG gestellt, der den Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 3 AO hemmt.
Der Beklagte (das beklagte Finanzamt) ist durch § 25 Abs. 1 EStG verpflichtet, eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen und einen Steuerbescheid nach § 155 Abs. 1 AO zu erlassen, soweit ein Veranlagungsgrund nach § 46 Abs. 2 EStG vorliegt2. Zwar trifft den Kläger, der nur Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezog, keine Erklärungspflicht nach § 56 EStDV i.V.m. § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 und Buchstabe 7b EStG, doch hat dieser durch Einreichen der Steuererklärung einen Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG gestellt.
Die Antragstellung erfolgte auch innerhalb der der Festsetzungsfrist und führte zur Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 3 AO, so das Finanzgericht Köln.
Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO vier Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Die Einkommensteuer für 2009 wäre demnach mit Ablauf des Jahres 2013 verjährt.
Durch den am 31.12.2013 beim Finanzamt R gegen 20.00 Uhr eingereichten Veranlagungsantrag wird der Ablauf der Festsetzungsfrist jedoch gemäß § 171 Abs. 3 AO gehemmt.
Die Abgabe einer Einkommensteuererklärung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG ist ein Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO. Denn liegen – wie im zu entscheidenden Fall – die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 7 EStG für eine Veranlagung von Amts wegen nicht vor, sind die Finanzbehörden aufgrund der Abgeltungswirkung des Lohnsteuerabzugs (§ 46 Abs. 4 Satz 1 EStG) an der Steuerfestsetzung gehindert. In einem solchen Fall ist der Steuerpflichtige nicht verpflichtet (§ 25 Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 EStDV), sondern lediglich berechtigt, eine Steuererklärung einzureichen3.
Nach der herrschenden Meinung ist ein Antrag nach § 171 Abs. 3 AO „gestellt“, wenn er bei der zuständigen Behörde eingeht4. Hiernach gelten für den Zugang des Antrages die bürgerlich-rechtlichen Regelungen über den Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärungen entsprechend. Eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB in dem Zeitpunkt zugegangen, in dem die zuständige Behörde zu den behördenüblichen Zeiten die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstückes erhalten konnte5.
Diesen Grundsätzen folgt das Finanzgericht Köln nicht für den vorliegenden Fall, in dem ein nicht steuerlich beratener Bürger meint, auch der Einwurf bei einem anderen als dem örtlich zuständigen Finanzamt derselben Stadt wahre die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 3 AO.
Das Finanzgericht Köln folgt insoweit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs im Urteil vom 10.07.19876. Hiernach wurde die Frist zur Beantragung des früheren Lohnsteuer-Jahresausgleichens auch durch die Abgabe des Antrags beim örtlich unzuständigen Finanzamt gewahrt. Nach Ansicht des Finanzgerichts Köln sind ein Antrag auf Lohnsteuerjahres-Ausgleich (§ 42c Abs. 2 Satz 1 EStG a.F.) und der Veranlagungsantrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG insoweit vergleichbar. Denn es handelt sich in beiden Fällen um einen Antrag nach § 171 Abs. 3 AO.
Für diese Beurteilung spricht zunächst der Wortlaut des Gesetzes. Soweit eine Verfahrenshandlung bzw. Antragstellung bei der (örtlich) zuständigen Finanzbehörde zu erfolgen hat, wird dies auch im Gesetz ausdrücklich benannt, bspw. für die Aufnahme der Steuererklärung an Amtsstelle (§ 151 AO), Einlegung des Einspruchs (§ 357 Abs. 2 AO), Wahrung der Festsetzungsfrist durch die Finanzbehörde (§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO) und Stellung eines Kindergeldantrages (§ 67 Satz 1 EStG). Eine entsprechende Regelung findet sich weder in § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG noch in § 171 Abs. 3 AO.
Daneben gebietet ein faires Verwaltungsverfahren den Urteilsspruch des Finanzgerichts Köln. Die Finanzverwaltung NRW tritt nach außen als einheitliche Verwaltung auf. Dies wird durch den Absender im Adressfeld von Bescheiden und Schreiben sowie auch durch den Aufdruck auf den Briefumschlägen deutlich. Hier wird nicht das einzelne Finanzamt, sondern die Finanzverwaltung NRW aufgeführt. Dieses einheitliche Auftreten spiegelt sich auch im Internetauftritt des Ministeriums der Finanzen des Landes NRW wider. Hier werden die Finanzämter unter „Finanzverwaltung des Landes NRW“ neben dem Ministerium und weiteren Dienststellen aufgeführt. Tritt die Finanzverwaltung dem Steuerbürger als einheitliche Verwaltung gegenüber, so kann sie dem Steuerbürger nicht entgegenhalten, dass Willenserklärungen wie der Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nur gegenüber dem örtlich zuständigen Finanzamt erfolgen können.
Diese Beurteilung ist umso mehr geboten, weil auch bei unverschuldetem Versäumen der Festsetzungsfrist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO nicht in Betracht kommt7.
Schließlich ergäbe sich – entsprechend der Beurteilung des Bundesfinanzhofs im Urteil vom 10.07.19878 – ein innerer Widerspruch zu der vom Gesetzgeber in § 127 AO vorgenommene Wertung, wonach die Aufhebung eines von einer örtlich unzuständigen Behörde erlassenen Verwaltungsakts nicht alleine aufgrund der Verletzung der örtlichen Zuständigkeit verlangt werden kann, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Dies wird z.B. deutlich für den Fall, dass ein Steuerpflichtiger seinen Antrag innerhalb der Festsetzungsfrist an das örtlich unzuständige Finanzamt richtet, welches die Einkommensteuerveranlagung in Verkennung der Zuständigkeitsvorschriften durchführt. Erhebt nun der Steuerpflichtige wegen einer für ihn ungünstigen Entscheidung Einspruch und stellt er gleichzeitig innerhalb der Festsetzungsfrist einen weiteren Antrag auf Veranlagung beim örtlich zuständigen Finanzamt, so müsste für den Fall der vom Finanzamt vertretenen Auffassung der mit dem Einspruch angefochtene Bescheid allein schon wegen der Unzuständigkeit als materiell fehlerhaft aufgehoben werden, während nach der vom Gesetzgeber mit § 127 AO vertretenen Intention der Einspruch als unbegründet zurückzuweisen wäre, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.
Die Festsetzungsfrist wurde auch durch den Einwurf außerhalb der üblichen Öffnungszeiten am 31.12.2013 gegen 20.00 Uhr gewahrt. Wie bereits dargestellt, gelten nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die bürgerlich-rechtlichen Regelungen über den Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärungen für die Frage der Ablaufhemmung durch Stellung eines Antrags auf Steuerfestsetzung entsprechend. Demnach ist ein Veranlagungsantrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG gestellt, wenn er (nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB) der zuständige Behörde zu den behördenüblichen Zeiten zugeht und sie damit die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstückes erhalten konnte9. Dies würde bedeuten, dass am 31. Dezember in Nordrhein-Westfalen grds. kein nach § 171 Abs. 3 AO den Ablauf der Festsetzungsfrist hemmender Antrag beim Finanzamt gestellt werden könnte, da an diesem Tag die Finanzämter in Nordrhein-Westfalen geschlossen sind (vgl. § 15 Abs. 1 der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten im Land Nordrhein-Westfalen – AZVO-NW). Soweit diese rein zivilrechtliche Betrachtung mit den o.g. Urteilen des Bundesfinanzhofs vertreten wird, vermag das Finanzgericht Köln dem für den vorliegenden Fall nicht zu folgen.
Vielmehr ist es nach Ansicht des Finanzgerichts Köln zur Hemmung des Ablaufs der 4-jährigen Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO i.V.m. § 171 Abs. 3 AO) ausreichend, wenn ein Veranlagungsantrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG am Tag des Ablaufs der Festsetzungsfrist bis 24.00 Uhr beim Finanzamt eingeht.
Denn hinsichtlich des Empfangs von Willenserklärungen in Form von Veranlagungsanträgen hat die Finanzverwaltung einen generellen Empfangs-/Zugangswillen. Eine starre Anwendung der zivilrechtlichen Zugangsregeln für Willenserklärungen (§ 130 BGB) würde dem besonderen öffentlichen-rechtlichen Auftrag der Finanzverwaltung nicht gerecht. Gemäß § 85 AO haben die Finanzbehörden die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Mit diesem Grundsatz wäre es nach Ansicht des Finanzgerichts Köln nicht zu vereinbaren, wenn bei Eingang eines Veranlagungsantrages am letzten Tag der Festsetzungsfrist eine Veranlagung in einem anderen Bundesland durchgeführt würde, weil dort die Ämter der Finanzverwaltung geöffnet sind, nicht aber in Nordrhein-Westfalen, weil hier diese Ämter geschlossen sind.
Auch würde sich ansonsten ein Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs im Urteil vom 20.01.201610 ergeben. Fällt hiernach nämlich der Ablauf der Festsetzungsfrist auf einen Sonnabend, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, so verlängert sich diese gemäß § 108 Abs. 3 AO bis zum Ablauf des nächsten Werktags. In diesem Fall reicht es nach der Entscheidung aus, dass ein Veranlagungsantrag bis 24 Uhr des Tages des Fristablaufs beim Finanzamt eingeht. Damit verzichtet der Bundesfinanzhof für den Fall einer nach § 108 Abs. 3 AO „verlängerten“ Festsetzungsfrist auf das Erfordernis der konkreten Möglichkeit zur Kenntnisnahme des Veranlagungsantrags durch die Finanzverwaltung während der behördenüblichen Zeiten. Eine nach § 108 Abs. 3 AO „verlängerte“ Festsetzungsfrist kann aber nicht anders behandelt werden als eine „normal“ ablaufende Festsetzungsfrist, so dass auch insoweit der Einwurf eines Veranlagungsantrages bis 24 Uhr des letzten Tags der Frist zur Fristwahrung führt, so das Finanzgericht Köln.
Die Revision hat das Finanzgericht Köln zur Fortbildung des Rechts und zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 FGO zugelassen.
Finanzgericht Köln, Urteil vom 23.05.2017 – 1 K 1637/14
ECLI:DE:FGK:2017:0523.1K1637.14.00
Revision wurde eingelegt: Bundesfinanzhof – VI R 37/17
- BFH, Urteil vom 24.01.2008 – VII R 3/07 [↩]
- BFH, Urteil vom 09.07.1959 – IV 209/58 U [↩]
- BFH, Urteile vom 14.04.2011 – VI R 53/10, BStBl. II 2011, 746; vom 30.03.2017 – VI R 43/15 [↩]
- BFH, Urteile vom 20.01.2016 – VI R 14/15, BStBl. II 2016, 753; vom 30.03.2017 – VI R 43/15 [↩]
- BFH, Beschluss vom 03.04.2002 – IX B 151/01; BFH, Urteil vom 20.12.2006 – X R 38/05, BStBl. II 2007, 823 [↩]
- BFH, Urteil vom 10.07.1987 – VI R 160/86, BStBl. II 1987, 827 [↩]
- BFH, Urteil vom 24.01.2008 – VII R 3/07, BStBl. II 2008, 462 [↩]
- BFH, Urteil vom 10.07.1987 – VI R 160/86, BStBl. II 1987, 827 [↩]
- BFH, Beschluss vom 03.04.2002 – IX B 151/01; BFH, Urteile vom 20.12.2006 – X R 38/05, BStBl. II 2007, 823; vom 20.01.2016 – VI R 14/15, BStBl. II 2016, 380; vom 30.03.2017 – VI R 43/15 [↩]
- BFH, Urteil vom 20.01.2016 – VI R 14/15, BStBl. II 2016, 380 [↩]