Auch im Alter will man seine Wohnung oder sein Eigenheim gerne weiter nutzen. Wenn hierfür Umbauten erforderlich sind, die mit entsprechenden Kosten einhergehen, gibt z.T. die Pflegekasse einen Zuschuss, aber die bei dem Betroffenen verbleibenden Kosten können ggfls. auch als aussergewöhnliche Belastungen im Rahmen der Einkommensteuererklärung geltend gemacht werden. Dies wirkt sich dann – wenn sie als solche anerkannt werden – einkommensteuermindernd aus.
Zumal solche Kosten nicht unerhebliche Kosten annehmen können, sind die Finanzämter hier sehr zurückhaltend, so dass es vielfach zu Klageverfahren wegen der Nichtanerkennung solcher Kosten als aussergewöhnliche Belastungen kommt.
Aktuell hat nun derBundesfinanzof entschieden, dass Aufwendungen für einen behindertengerechten Umbau des zum selbstgenutzten Einfamilienhaus gehörenden Gartens keine außergewöhnlichen Belastungen sind.
Worum ging es konkret?
In dem entschiedenen Fall hatten Eheleute geklagt. Die Klägerin leidet an einem Post-Polio-Syndrom. Ihr Schwerbehindertenausweis wies im Streitjahr einen Grad der Behinderung von 70 mit den Merkzeichen G und aG aus.
Die Kläger sind Eigentümer eines Einfamilienhauses mit Garten mit einer Größe von 1 387 qm. Unmittelbar vor dem Haus befanden sich zunächst Beete, auf denen die Klägerin Beerensträucher sowie Kräuter anbaute. Die Beete waren vom Haus aus fußläufig über eine schmale Zuwegung zu erreichen. Auf der Rückseite des Hauses befindet sich eine Terrasse, die vom Haus aus mit einem Rollstuhl erreicht werden kann.
Im Streitjahr ließen die Kläger den Weg vor ihrem Haus in eine gepflasterte Fläche von 17,96 qm ausbauen und Hochbeete anlegen. Ausweislich der Schlussrechnung vom 19.10.2016 stellte die X GmbH der Klägerin hierfür einen Betrag von insgesamt 7.024,68 € in Rechnung (Arbeitskosten 3.090,86 € brutto). Die Kläger beglichen die Rechnung im Streitjahr durch Banküberweisung.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragten die Kläger den Abzug der Aufwendungen für den Umbau des Garteneingangsbereichs als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG. Die Umbauarbeiten seien erfolgt, weil die Klägerin zur Bewirtschaftung des Vorgartens mittlerweile auf einen Rollstuhl angewiesen sei. Das beklagte Finanzamt berücksichtigte die geltend gemachten Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 10.11.2017 nicht. Den Einspruch wies er mit Einspruchsentscheidung vom 02.08.2018 als unbegründet zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage begehrten die Kläger im Hauptantrag die Berücksichtigung von Umbaukosten in Höhe von 6.099 € als außergewöhnliche Belastungen; hilfsweise machten sie die angefallenen Lohnkosten im Rahmen der Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 3 EStG geltend. Das Finanzgericht Münster gab der Klage im Hilfsantrag statt; hinsichtlich der außergewöhnlichen Belastungen wies es die Klage ab1.
Auf die hiergegen gerichtete Revision hat der Bundesfinanzhof die Klage nun komplett zurückgewiesen.
Warum? / Die Entscheidung:
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens-, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen sind in diesem Sinne zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit sie den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Entlastungsbeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich der außergewöhnlichen Belastungen ausgeschlossen sind daher die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind2, sowie private Aufwendungen, die über die Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein hinausgehen. Deshalb stellen die §§ 33, 33a und 33b EStG auch nur außergewöhnliche ‑ insbesondere existentiell notwendige oder der Sicherung der Existenz dienende ‑ atypische Aufwendungen steuerfrei3.
Aufwendungen erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn die aufgeführten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen auf die Entschließung des Steuerpflichtigen in einer Weise einwirken, dass er ihnen nicht ausweichen kann4, der Steuerpflichtige also keine tatsächliche Entschließungsfreiheit hat, bestimmte Aufwendungen vorzunehmen oder zu unterlassen. Eine tatsächliche Zwangslage ‑‑die im Streitfall allein in Betracht kommt‑‑ kann nur durch ein unausweichliches Ereignis tatsächlicher Art begründet werden, nicht jedoch durch eine maßgeblich vom menschlichen Willen beeinflusste Situation4.
Als außergewöhnliche Belastungen hat der Bundesfinanzhof daher Aufwendungen anerkannt, die geleistet werden, um den existenznotwendigen Wohnbedarf zu befriedigen5, existenznotwendige Gegenstände wieder zu beschaffen6 bzw. von diesen ausgehende Gesundheitsgefahren zu beseitigen7. Demgegenüber hat der Bundesfinanzhof Aufwendungen für die Anschaffung eines größeren Grundstücks zum Bau eines behindertengerechten Bungalows4 und für den behinderungsbedingten Umbau einer Motoryacht3 nicht als zwangsläufigen Mehraufwand für den existenznotwendigen Wohn- bzw. Grundbedarf anerkannt, da diese Aufwendungen in erster Linie Folge eines freien Konsumverhaltens waren.
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Finanzgericht Münster nach Auffassung des Bundesfinanzhofs zu Recht entschieden, dass die geltend gemachten Aufwendungen für den behindertengerechten Gartenumbau nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind. Denn sie sind der Klägerin nicht zwangsläufig entstanden. Zwar war die Umbaumaßnahme eine Folge der Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin. Die Klägerin war jedoch nicht aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen verpflichtet, derartige Konsumaufwendungen zu tragen. Die Umbaukosten standen (unter Anlegung des steuerlichen Maßstabs) vielmehr in ihrem Belieben. Diese Aufwendungen sind nicht vornehmlich der Krankheit oder Behinderung geschuldet, sondern ‑ anders als die krankheits- oder behindertengerechte Ausgestaltung des individuellen (existenznotwendigen) Wohnumfelds ‑ in erster Linie Folge eines frei gewählten Freizeit-/Konsumverhaltens. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass die Nutzung/Bewirtschaftung eines (zum Wohnhaus gehörenden) Gartens für den Steuerpflichtigen seit jeher ein nachhaltig Lebensfreude stiftendes Hobby darstellt, welches mit zunehmender körperlicher Beeinträchtigung an Bedeutung gewinnen kann. Denn § 33 EStG unterscheidet tatbestandlich in § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG lediglich zwischen steuererheblicher (aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen) zwangsläufiger und steuerunerheblicher beliebiger Einkommensverwendung. Ein Werturteil ist damit nicht verbunden.
Dem steht, so der Bundesfinanzhof weiter – anders als die Kläger meinen‑‑ das Urteil des Bundesfinanzhofs8 nicht entgegen. Zwar hat der Bundesfinanzhof in dieser Entscheidung auch das Hausgrundstück dem existenznotwendigen Wohnbedarf zugerechnet. Die Entscheidung erging jedoch zu der Frage, ob Aufwendungen für die Sanierung eines mit Dioxin belasteten Grundstücks als zwangsläufig anzusehen sind. Die Zwangsläufigkeit dieser Aufwendungen wurde letztlich nur deshalb bejaht, weil von dem Hausgrundstück aufgrund der hohen Dioxinbelastung eine konkrete Gesundheitsgefährdung ausging und dadurch das „(tatsächliche) Wohnen“ in dem darauf belegenen „(‚kleinen‘)“ Einfamilienhaus entscheidend beeinträchtigt und der Steuerpflichtige überdies bodenschutzrechtlich zur Grundstückssanierung verpflichtet war. Für die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Aufwendungen für den behindertengerechten Umbau eines Gartens nach § 33 EStG abgezogen werden können, lässt sich die vorgenannte Entscheidung daher nicht fruchtbar machen.
Aus den Bestimmungen des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen9 ergibt sich nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nichts anderes. Insbesondere betrifft der von den Klägern angeführte Art. 9 des Übereinkommens „Zugänglichkeit“ nur Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit in städtischen und ländlichen Gebieten offenstehen und für sie bereitgestellt werden. Hierunter fällt das von der Klägerin behindertengerecht gestaltete private Hausgrundstück offensichtlich nicht. Aber auch aus Art. 20 des Übereinkommens „Persönliche Mobilität“ und aus Art. 26 des Übereinkommens „Habilitation und Rehabilitation“ folgt nicht die von den Klägern angestrebte Auslegung des Begriffs der Zwangsläufigkeit in § 33 EStG. Nach beiden Bestimmungen treffen die Vertragsstaaten wirksame Maßnahmen, um die Mobilität von Menschen mit Behinderung bzw. deren Habilitation und Rehabilitation zu fördern. Bei der Anwendung der Steuergesetze kann diesen Zielen indes nur insoweit Rechnung getragen werden, als sie bereits Eingang in die betreffenden Normen gefunden haben (z.B. § 33b EStG). Solange § 33 EStG hinsichtlich des Merkmals der Zwangsläufigkeit nicht zwischen behinderten und nicht behinderten Steuerpflichtigen differenziert, besteht kein Anlass zu einer unterschiedlichen Auslegung des Begriffs der Zwangsläufigkeit betreffend diese beiden Gruppen von Steuerpflichtigen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 26.10.2022 – VI R 25/20
ECLI:DE:BFH:2022:U.261022.VIR25.20.0
- FG Münster, Urteil vom 15. Januar 2020 – 7 K 2740/18 E [↩]
- BFH, Urteil vom 26.06.2014 – VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl. II 2015, 9 [↩]
- BFH, Beschluss vom 02.06.2015 – VI R 30/14, BFHE 249, 552, BStBl. II 2015, 775 [↩] [↩]
- BFH, Urteil vom 17.07.2014 – VI R 42/13, BFHE 246, 360, BStBl. II 2014, 931 [↩] [↩] [↩]
- BFH, Urteil vom 21.04.2010 – VI R 62/08, BFHE 230, 1, BStBl. II 2010, 965 [↩]
- BFH, Urteil vom 29.03.2012 – VI R 21/11, BFHE 237, 93, BStBl II. 2012, 574) oder gesundheitsgefährdende Gegenstände des existenznotwendigen Bedarfs auszutauschen ((BFH, Urteil vom 29.03.2012 – VI R 70/10, BFHE 237, 90, BStBl. II 2012, 572 [↩]
- BFH, Urteil vom 29.03.2012 – VI R 47/10, BFHE 237, 85, BStBl. II 2012, 570 [↩]
- BFH, Urteil vom 20.12.2007 – III R 56/04, BFH/NV 2008, 937 [↩]
- BGBl II 2008, 1420 [↩]