Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass, wenn ein privat krankenversicherter Steuerpflichtiger seine Krankheitskosten selbst trägt, um dadurch die Voraussetzungen für eine Beitragserstattung zu schaffen, diese Kosten nicht als Beiträge zu einer Versicherung i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG steuerlich abgezogen werden.
Diese Entscheidung ist die logische Fortsetzung zur bisherigen finanzgerichtlichen Rechtsprechung zu dem sog. Selbstbehalt, über die wir z.B. hier berichtet haben.
In dem nun vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hatten der Kläger und seine Ehefrau Beiträge an ihre privaten Krankenversicherungen zur Erlangung des Basisversicherungsschutzes gezahlt. Um in den Genuss von Beitragserstattungen zu kommen, hatten sie angefallene Krankheitskosten selbst getragen und nicht bei ihrer Krankenversicherung geltend gemacht. In der Einkommensteuererklärung kürzte der Kläger zwar die Krankenversicherungsbeiträge, die als Sonderausgaben angesetzt werden können, um die erhaltenen Beitragserstattungen, minderte diese Erstattungen aber vorher um die selbst getragenen Krankheitskosten, da er und seine Ehefrau insoweit wirtschaftlich belastet seien.
Das Finanzamt hat diesen Abzug nicht akzeptiert; die hiergegen gerichtete Klage war erfolglos1.
Im Einzelnen:
Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat nach Auffassung des Bundesfinanzhofs zu Recht entschieden, dass sich die vom Kläger getragenen Krankheitskosten im Streitjahr steuerlich nicht auswirken können. Sie sind weder als Sonderausgaben noch als außergewöhnliche Belastungen abziehbar.
Die vom Kläger selbst getragenen Krankheitskosten können die Beitragserstattungen nicht mindern, die er und seine Ehefrau im Streitjahr erhielten und die zu einer Reduzierung der als Sonderausgaben abziehbaren Krankenversicherungsbeiträge nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a Satz 3 EStG führten.
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG gehören zu den Sonderausgaben u.a. Beiträge zu Krankenversicherungen, soweit diese zur Erlangung eines durch das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch bestimmten sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus erforderlich sind und sofern auf die Leistungen ein Anspruch besteht. Für Beiträge zu einer privaten Krankenversicherung sind dies die Beitragsanteile, die auf Vertragsleistungen entfallen, die, mit Ausnahme der auf das Krankengeld entfallenden Beitragsanteile, in Art, Umfang und Höhe den Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vergleichbar sind.
Zu den Beiträgen zu Versicherungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG gehören nicht nur die eigentlichen Prämien, sondern auch die üblichen mit dem Versicherungsverhältnis zusammenhängenden und vom Versicherungsnehmer zu tragenden Nebenleistungen. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG muss es sich jedoch um Beiträge „zu“ einer Krankenversicherung handeln. Daraus folgt, dass nur solche Ausgaben als Beiträge zu Krankenversicherungen anzusehen sind, die zumindest im Zusammenhang mit der Erlangung des Versicherungsschutzes stehen und damit – als Vorsorgeaufwendungen – letztlich der Vorsorge dienen.
Aufgrund dessen hat der Bundesfinanzhof bereits entschieden, dass Zahlungen aufgrund von Selbst- bzw. Eigenbeteiligungen an entstehenden Kosten keine Beiträge zu einer Versicherung sind2.
Auch die vom Steuerpflichtigen selbst getragenen Krankheitskosten sind keine Beiträge zu einer Versicherung. Der Unterschied zum Selbstbehalt liegt lediglich darin, dass dort bereits im Vorhinein verbindlich auf einen Versicherungsschutz verzichtet wird, während sich im Streitfall der Kläger erst bei Vorliegen der konkreten Krankheitskosten entscheiden kann, ob er sie selbst tragen will, um die Beitragserstattungen zu erhalten. Dies ändert aber nichts daran, dass in beiden Konstellationen der Versicherte die Krankheitskosten nicht trägt, um den Versicherungsschutz als solchen zu erlangen.
Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat zutreffend erkannt, dass Krankheitskosten keinen Einfluss auf die Höhe des Sonderausgabenabzugs haben können. Dies widerspräche sowohl dem Gesetzeswortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG („Beiträge“) als auch der Grundentscheidung des Gesetzgebers, Krankheitskosten lediglich im Rahmen des § 33 EStG zu berücksichtigen.
Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs steht –soweit erkennbar– nicht nur mit der finanzgerichtlichen Rechtsprechung im Einklang3, sondern auch mit der Auffassung der Finanzverwaltung4 sowie der überwiegenden Auffassung des Schrifttums5.
Der Bundesfinanzhof verkennt nicht, dass es wirtschaftlich vernünftig sein kann, auf die Erstattung der gezahlten Krankheitskosten zu verzichten, um so eine betragsmäßig höhere Beitragserstattung zu erlangen. Es ist aber nicht Aufgabe des Steuerrechts dafür zu sorgen, dass dieser Vorteil auch nach Durchführung der Besteuerung erhalten bleibt. Der Steuerpflichtige hat die Freiheit zu wählen, ob er sich die Krankheitskosten erstatten lässt oder nicht. Er hat damit die Möglichkeit, sich für die – auch unter Berücksichtigung der steuerlichen Implikationen – im Einzelfall voraussichtlich günstigste Variante zu entscheiden.
Dass der Kläger ohne die von ihm getragenen Krankheitskosten höhere Sonderausgaben hätte abziehen können, spielt im Streitfall keine Rolle. Es handelt sich um einen fiktiven Sachverhalt; der Besteuerung ist indes der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt zugrunde zu legen.
Einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz vermag der angerufene Senat nicht zu erkennen. Es ist zwar zuzugeben, dass der Betrag der Beitragserstattung unabhängig davon ist, ob dem Versicherten gar keine Krankheitskosten oder aber Krankheitskosten bis zur Höhe der Beitragserstattung entstehen. Dies ändert aber nichts an dem entscheidenden – in beiden Fällen gleichen – Umstand, dass im Beitrags- und Versicherungsverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Versicherungsunternehmen lediglich die Beitragszahlungen und die Beitragserstattungen von Bedeutung sind. Die Zahlung von Krankheitskosten spielt sich außerhalb dieses Beitrags- und Versicherungsverhältnisses ab.
Die getragenen Krankheitskosten in Höhe von 634,53 EUR sind auch nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar.
Offen bleiben kann, ob die Krankheitskosten – wie das Finanzamt vorgetragen hat – nicht bereits im Veranlagungszeitraum 2012 abgeflossen sind. Jedenfalls überschreiten sie nicht die zumutbare Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG in Höhe von 1.849 EUR.
§ 33 EStG differenziert bei der Ermittlung der zumutbaren Belastung nicht zwischen Krankheitskosten und anderen Aufwendungen, die als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind; der Wortlaut ist insoweit eindeutig6. Der hiernach vorzunehmende Abzug einer zumutbaren Belastung auch bei Krankheitskosten ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden7.
Bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte der Kläger in Höhe von 40.033 EUR beträgt die zumutbare Belastung 1.849 EUR, sodass im Streitfall die zumutbare Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG nicht überschritten wurde.
Infolgedessen konnte es der Bundesfinanzhof dahinstehen lassen, ob überhaupt eine Zwangsläufigkeit der Aufwendungen i.S. des § 33 Abs. 1 EStG in den Fällen bejaht werden kann, in denen der Steuerpflichtige auf die ihm zustehende Erstattung der Krankheitskosten verzichtet.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 29.11.2017 – X R 3/16
ECLI:DE:BFH:2017:U.291117.XR3.16.0
- Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25.01.2016 – 6 K 864/15 [↩]
- BFH, Urteile vom 18.07.2012 – X R 41/11; vom 08.10.2013 – X B 110/13 [↩]
- neben der Vorinstanz s.a.: FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.04.2017 – 11 K 11327/16; FG Düsseldorf, Urteil vom 06.06.2014 – 1 K 2873/13 E; FG Münster, Urteil vom 17.11.2014 – 5 K 149/14 E [↩]
- Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -BMF- vom 19.08.2013, BStBl. I 2013, 1087 [↩]
- vgl. z.B. Kulosa in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 10 EStG Rz 155; Schmidt/Heinicke, EStG, 36. Aufl., § 10 Rz 70; Stöcker in Bordewin/Brandt, § 10 EStG Rz 170; Cöster in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 10 Rz 272; Liess, Neue Wirtschaftsbriefe –NWB– 2011, 1978; Myßen/Wolter, NWB 2011, 280; a.A. Neumann, Deutsches Steuerrecht 2013, 388; Neumann-Tomm, DStRE 2015, 337 [↩]
- BFH, Urteil vom 02.09.2015 – VI R 32/13 [↩]
- BFH, Urteil vom 02.09.2015 – VI R 32/13; die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen: BVerfG, Beschluss vom 23.11.2016 – 2 BvR 180/16 [↩]