Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits im März 2004 entschieden, dass die Besteuerung von Spekulationsgewinnen aus privaten Wertpapiergeschäften in den Veranlagungszeiträumen 1997 und 1998 gegen das Grundgesetz verstoße, weil die Besteuerung in erster Linie von der Mitwirkungs- und Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen abhänge und eine dem Gleichheitssatz entsprechende Durchsetzung des Steueranspruchs daher nicht gewährleistet sei. Für das Jahr 1999 hat der Bundesfinanzhof nun dagegen entschieden, dass die Besteuerung privater Wertpapierveräußerungsgeschäfte verfassungsgemäß war.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Besteuerung von privaten Spekulationseinkünften bei Wertpapieren für die Jahre 1997 und 1998 wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits als verfassungswidrig beurteilt und die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) EStG 1997 insoweit für nichtig erklärt hatte, musste der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Norm in der nun gültigen Fassung ab dem Jahr 1999 prüfen.
Im Streitfall erzielte ein Steuerpflichtiger im Jahr 1999 Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften. Er machte geltend, dass ebenso wie in den Vorjahren ein Vollzugsdefizit bestanden habe.
Der BFH verneinte jedoch ein normatives, gleichheitswidriges Erhebungsdefizit jedenfalls nach Einführung des sog. Kontenabrufverfahrens. Nach seiner Auffassung führt der Kontenabruf nach § 93 Abs. 7 i.V.m. § 93b Abs. 1 AO 1977 zu einer Effektuierung bestehender Ermittlungsmöglichkeiten und zu einer umfassenden Verifizierung der vom Steuerpflichtigen zu erklärenden Einkünfte aus der Veräußerung von Wertpapieren. Zwar gilt das Verfahren erst ab dem 1. April 2005; es betrifft aber auch Sachverhalte der Vergangenheit, weil z.B. eine Bank nach § 24c KWG die Nummer eines Depots aufnehmen muss, das bereits im Jahr 1999 oder vorher errichtet worden ist. Da überdies die Festsetzungsfrist bei hinterzogenen Steuern zehn Jahre beträgt – und die Steuer auf nicht erklärte Veräußerungsgeschäfte ist regelmäßig hinterzogen – können die Finanzbehörden für den Veranlagungszeitraum 1999 noch ermitteln. So verhält es sich, wenn das FA z.B. bei der Veranlagung der Einkommensteuer für das Jahr 2004 erfährt, dass der Steuerpflichtige (auch) im Jahr 1999 ein Depot unterhalten aber keine Erträge erklärt hatte.
Das Kontenabrufverfahren ist nicht nur zur Verifikation geeignet; es ist wegen der Regelung über das sog. Bankgeheimnis (§ 30a AO 1977) auch verfassungsrechtlich notwendig, um das Erklärungsverhalten der Steuerpflichtigen zu überprüfen. Die Finanzverwaltung muss nach einer ihr zuzubilligenden Anlaufphase die Voraussetzungen für ein rasches Funktionieren des Verfahrens schaffen. Der BFH hat ausdrücklich offen gelassen, ob und ab wann – trotz der nun gegebenen rechtlichen Strukturen – von einem Vollzugsdefizit auszugehen ist, wenn der Kontenabruf aus wirtschaftspolitischen oder anderen politischen Gründen nicht vollzogen werden sollte.
BFH, Urteil vom 29. November 2005 – IX R 49/04