Das Finanzgericht Hamburg hat ernstliche Zweifel daran geäußert, daß dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für die im Kernbrennstoffsteuergesetz geregelte Kernbrennstoffsteuer zusteht und hat daher die Aussetzung der Vollziehung entsprechender angefochtener Steuerbescheide angeordnet.
Zusammengefasst stellte das Finanzgericht insbesondere fest:
1. Die im Kernbrennstoffsteuergesetz 2011 geregelte Steuer ist eine Steuer im finanzverfassungsrechtlichen Sinne, nicht aber eine Sonderabgabe der Kernkraftwerkbetreiber.
2. Es ist zweifelhaft, ob dem Bund für den Erlass der Kernbrennstoffsteuer eine Gesetzgebungskompetenz zusteht.
3. Es ist zweifelhaft, ob der Gesetzgeber neben den im Grundgesetz genannten Steuern und Steuerarten noch neuartige Steuern einführen darf, weil die Gefahr besteht, dass mit einem „Steuerfindungsrecht“ die von der Finanzverfassung sorgsam ausbalancierte Verteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern umgangen werden könnte.
Aber im Einzelnen:
Nach Auffassung des Finanzgerichts Hamburg bestehen gewichtige Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes vom 08.12.20101 (im Folgenden: KernbrStG). Das Finanzgericht lässt dahingestellt, ob diese Zweifel bereits augenscheinlich daraus herrühren, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit bzw. Unionsrechtmäßigkeit des KernbrStG in der Literatur kontrovers diskutiert wird. Nach dem Dafürhalten des Finanzgerichts Hamburg bestehen gewichtige Bedenken, ob dem Bund für den Erlass der mit dem KernbrStG eingeführten „neue(n) Steuer auf die Verwendung von Kernbrennstoffen“2 eine Gesetzgebungskompetenz zusteht. Insoweit hat das Finanzgericht insbesondere auf Folgendes hingewiesen:
1. Gemäß Art. 105 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.05.1949, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.07.20103 (im Folgenden: GG), hat der Bund neben der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz über Zölle und Finanzmonopole (Art. 105 Abs. 1 GG) die konkurrierende Gesetzgebung über die übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen (Art. 105 Abs. 2 GG). Die von der Antragstellerin angegriffene Abgabe auf die Verwendung von Kernbrennstoffen ist nach Ansicht des Finanzgerichts Hamburg eine Steuer im Sinne des Grundgesetzes. Denn sie begründet eine Gemeinlast, die jedem auferlegt wird, der den steuerlichen Tatbestand erfüllt. Sie wird unabhängig von einer individuellen Gegenleistung erhoben und erbringt einen Ertrag zur Finanzierung der staatlichen Aufgaben – ausweislich der Gesetzesbegründung4 ist die Abgabe zur Haushaltskonsolidierung des Bundes erforderlich. Dabei übersieht das Finanzgericht nicht, dass nach der Gesetzesbegründung „die Erträge aus der Steuer … vor dem Hintergrund der Haushaltskonsolidierung auch dazu beitragen (sollen), die aus der notwendigen Sanierung der Schachtanlage Asse II entstehende Haushaltsbelastung des Bundes zu verringern“, was an die Möglichkeit denken lässt, dass es sich um eine Sonderabgabe handeln könnte. Sonderabgaben werden ähnlich den Steuern „voraussetzungslos“ mit Finanzierungsfunktion erhoben, unterscheiden sich von Steuern aber dadurch, dass sie eine Sonderbelastung einer durch ihre wirtschaftliche Betätigung gekennzeichneten Gruppe darstellen; sie werden nicht unabhängig von Staatsleistungen zur Finanzierung allgemeiner Staatsausgaben, also nicht als Gemeinlast erhoben, sondern begründen eine Finanzierungspflicht für eine den Abgabenschuldnern nahestehende Finanzierungsaufgabe5. Weil der Verfassungsgrundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans berührt ist, wenn der Gesetzgeber Einnahme- und Ausgabekreisläufe außerhalb des Budgets organisiert, hat das Bundesverfassungsgericht die allgemeinen finanzverfassungsrechtlichen Begrenzungen für nichtsteuerliche Abgaben in besonders strenger Form präzisiert6. So muss das Abgabenaufkommen gruppennützig verwendet werden; zusätzlich muss der Gesetzgeber im Interesse wirksamer parlamentarisch-demokratischer Legitimation und Kontrolle die erhobenen Sonderabgaben haushaltsrechtlich vollständig dokumentieren und ihre sachliche Rechtfertigung in angemessenen Zeitabständen überprüfen. Würde es sich bei der Kernbrennstoffsteuer um eine Sonderabgabe handeln, wäre ihre Verfassungsmäßigkeit ernstlich zweifelhaft. Da die Regelungen des KernbrStG freilich erkennbar nicht an diesen Anforderungen einer Sonderabgabe ausgerichtet sind und insbesondere auch wegen der vorrangigen Erwähnung der Haushaltskonsolidierung in der Gesetzesbegründung nicht davon auszugehen ist, dass die Einnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer außerhalb des allgemeinen Haushalts geführt werden, ist nach dem Verständnis des beschließenden Senats ihre Qualifizierung als Sonderabgabe auszuschließen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Erwähnung eines konkreten Verwendungsziels in der Gesetzesbegründung Anlass zu Bedenken geben könnte.
2. Ernstlich zweifelhaft ist indes, ob dem Bund für den Erlass der Kernbrennstoffsteuer nach Art. 105 Abs. 2 GG eine Gesetzgebungskompetenz zusteht. Das Finanzgericht Hamburg hat zum einen gewichtige Bedenken, ob die Kernbrennstoffsteuer dem verfassungsrechtlichen Typus einer Verbrauchsteuer entspricht und damit als Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 106 GG angesehen werden kann.
Das Finanzgericht hat zum anderen erhebliche Zweifel, ob dem Bund nach dem Kompetenzgefüge des Grundgesetzes ein sog. Steuerfindungsrecht für die Einführung einer neuen, im Katalog des Art. 106 GG nicht ausdrücklich genannten Steuer eingeräumt ist. Es ist durch die Rechtsprechung noch nicht geklärt, was genau unter „übrige Steuern“ i. S. v. Art. 105 Abs. 2 GG zu verstehen ist und insbesondere ob bzw. welche Funktion der Nennung von Steuerarten und Steuern in Art. 106 GG insoweit zukommt: Unter „übrige Steuern“ könnten alle Steuern verstanden werden, die in den finanzverfassungsrechtlichen Normen des Grundgesetzes genannt sind und nicht unter die in Art. 105 Abs. 1 GG genannten Abgaben fallen. Dann wäre Art. 106 GG, in dem auch alle an anderer Stelle erwähnten Steuern aufgezählt sind, ein abschließender Katalog der zulässigen Steuern bzw. Steuerarten. Jeder in Art. 106 GG genannten Steuer und Steuerart wäre ein bestimmter und umgrenzter Begriffsinhalt beizumessen mit der Folge, dass Steuern denkbar wären, die keiner der in Art. 106 GG genannten Steuern und Steuerarten zugeordnet werden können. Verwiese Art. 105 Abs. 2 GG lediglich auf die in Art. 106 GG aufgeführten Steuern und Steuerarten, könnte der Bund die Erhebung von Steuern, die nicht von der Aufzählung in Art. 106 GG erfasst sind, nicht gesetzlich regeln, hätte also kein sogenanntes Steuerfindungsrecht. Bei diesem Verständnis wäre zu verlangen, dass die Kernbrennstoffsteuer von einem der so verstandenen Steuerbegriffe in Art. 106 GG erfasst wird, was indes, da ohnehin allein die in Abs. 1 Nr. 2 genannte Verbrauchsteuer in Betracht kommt, ernsthaft zweifelhaft ist.
Unter „übrige Steuern“ könnte andererseits aber auch überhaupt jede Steuer außerhalb der in Art. 105 Abs. 1 GG genannten Abgaben fallen. Wären unter „übrige Steuern“ alle nur denkbaren Steuern zu verstehen, so würde Art. 105 Abs. 2 GG dem Bund ein – nur durch die Kompetenzregeln in Art. 105 Abs. 2a GG und Art. 72 Abs. 2 GG, im Übrigen jedoch – unbeschränktes Steuererfindungsrecht gewähren. Die Frage nach der Ertragshoheit für eine erhobene Steuer müsste, falls diese nicht in Art. 106 GG eingeordnet werden könnte, nach anderen Regeln bestimmt werden – sofern nicht die Aufzählung der Steuern und Steuerarten in Art. 106 GG als erschöpfend in dem Sinne verstanden würde, dass überhaupt jede nur denkbare Steuer einer der dort genannten Steuerarten zugeordnet werden können muss; die verwendeten Bezeichnungen wären dann als offene Begriffe zu verstehen, mit denen nicht zu überprüfen wäre, ob eine Steuer der Aufzählung unterfällt, sondern nur welcher der aufgezählten Steuern bzw. Steuerarten sie unterfällt. Bei diesem Verständnis stellte sich also im Rahmen der hier vorzunehmenden Kompetenzprüfung die Frage nicht, ob eine Steuer auf die Inbetriebnahme von Kernbrennstoffen – vorbehaltlich ihrer Rechtmäßigkeit im Übrigen – überhaupt erhoben werden darf, sondern nur, ob gerade der Bund hierzu die (alleinige) Gesetzgebungskompetenz hat. Dafür könnte zwar sprechen, dass die Kernbrennstoffsteuer bei einem offenen Verständnis von Art. 106 GG am ehesten den Verbrauchsteuern zugeordnet werden könnte. Doch das Finanzgericht Hamburg hat bereits ernstliche Zweifel hinsichtlich der Prämisse, dass die Steuergesetzgebungskompetenz sich nicht auf bestimmte, in Art. 106 GG vorgegebene Steuern und Steuerarten beschränkt: Diese Zweifel ergeben sich unter Berücksichtigung gewichtiger Bedenken aus der Finanzrechtswissenschaft, die von der Rechtsprechung nicht in Frage gestellt oder jedenfalls nicht entkräftet werden. Eine in der Rechtswissenschaft stark vertretene Ansicht sieht einen engen Zusammenhang von Steuergesetzgebungshoheit und Steuerertragshoheit. Die im Zuge des Finanzreformgesetzes 1969 geschaffene Finanzverfassung habe das Ziel gehabt, für die Aufteilung der Steuern ein möglichst dauerhaftes und überschaubar gestaltetes System zu schaffen7. Mit Abgaben und Steuern, die sich nicht in das durch die Regelungen des Grundgesetzes manifestierte System einordnen ließen, würde die bundesstaatliche Verteilung in unzulässiger Weise umgangen. Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 08.06.19888 ausgeführt, dass die grundgesetzliche Finanzverfassung (Art. 104a bis Art. 108 GG) eine in sich differenzierte, Gesamtstaat und Gliedstaaten in ihrem Anteil am Gesamtertrag der Volkswirtschaft sorgsam ausbalancierende Regelung darstelle, die ein Eckpfeiler der bundesstaatlichen Ordnung sei. Sie verlöre ihren Sinn und ihre Funktion, wenn unter Rückgriff auf die Sachgesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern daneben beliebig Abgaben unter Umgehung der bundesstaatlichen Verteilung der Finanzen erhoben werden könnten und damit zugleich ein weiterer Zugriff auf die keineswegs unerschöpflichen Ressourcen der Bürger eröffnet würde. Ihr liege die Vorstellung zugrunde, dass die Finanzierung der staatlichen Aufgaben in Bund und Ländern einschließlich der Gemeinden grundsätzlich aus dem Ertrag der in Art. 105 ff. GG geregelten Einnahmequellen erfolge (Prinzip des Steuerstaates) und nur ausnahmsweise, d. h. unter besonderen Voraussetzungen, Einnahmen außerhalb des von der Finanzverfassung erfassten Bereichs erschlossen werden dürften. Sind diese Ausführungen zwar im Hinblick auf eine Umgehung der Verteilungsregeln durch Schaffung von Sonderausgaben erfolgt, so treffen sie doch nach dem Dafürhalten des beschließenden Senats im gleichen Maße auf die Erfindung von Steuern zu, die sich nicht in das vom Grundgesetz vorgesehene System des Art. 106 GG einordnen lassen. In dem zitierten Urteil hat das Bundesverfassungsgericht sogar ausdrücklich auf die Ausführungen Vogels9 Bezug genommen, der bereits seit langem die Auffassung vertritt, dass eine Bindung der Steuergesetzgebungshoheit des Bundes und der Länder an den Steuerkatalog des Art. 106 GG Steuern bestehe, die der Annahme eines Steuererfindungsrechts entgegenstehe. Abweichende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage, die insbesondere die dargelegten Zweifel an einem Steuerfindungsrecht hinreichend deutlich ausräumen, sind – soweit ersichtlich – bislang nicht ergangen. Das Finanzgericht Hamburg übersieht in diesem Zusammenhang nicht, dass allerdings der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung bemerkt hat, der Steuerkatalog des Art. 106 GG sei vollständig, so dass sich alle zulässigen Steuern darin einordnen lassen müssten10. Ob dieser Satz überhaupt so verstanden werden muss, dass das Grundgesetz für jede denkbare Steuer eine Gesetzgebungskompetenz vorhält – oder ob mit „zulässigen Steuern“ nur diejenigen gemeint sind, die im Grundgesetz bereits erwähnt sind -, kann an dieser Stelle offenbleiben, denn die von der Finanzrechtswissenschaft herausgearbeiteten Zweifel an einem Steuerfindungsrecht des Bundes wären damit nicht ausgeräumt, zumal dieses Urteil des Bundesfinanzhofs und das dort in Bezug genommene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts – das zudem Art. 105 GG in der anderslautenden Fassung vor dem Finanzreformgesetz 1969 betraf – keine verfassungsrechtlichen Argumente enthalten, mit der eine solche Auslegung der Art. 105 f. GG begründet werden könnte.
Finanzgericht Hamburg, Beschluss vom 16.09.2011 – 4 V 133/11
- BGBl I S. 1804 [↩]
- vgl. BT-Drs. 17/3057 vom 28.09.2010 – Entwurf eines Kernbrennstoffsteuergesetzes -, S. 1 [↩]
- BGBl I, S. 944 [↩]
- BT-Drs. 17/3054 [↩]
- BVerfG, Beschluss vom 31.05.1990 – 2 BvL 12/88, 2 BvL 13/88, 2 BvR 1436/87, in BVerfGE 82, 159 [↩]
- BVerfG, Beschluss vom 16.09.2009 – 2 BvR 852/07, in BVerfGE 124, 235; BVerfG, Beschluss vom 31.05.1990 – 2 BvL 12/88, 2 BvL 13/88, 2 BvR 1436/87, in BVerfGE 82, 159 [↩]
- Vogel, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 105, Rdnr. 66, unter Bezugnahme auch auf BT-Drs. V/2861, S. 12 Tz. 4 und S. 33 Tz. 134 [↩]
- BVerfG, Beschluss vom 08.06.1988 – 2 BvL 9/85, 2 BvL3/86, in BVerfGE 78, 249 [↩]
- in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1987, § 27 Rdnr. 70 [↩]
- BFH, Urteil vom 26.06.1984 – VII R 60/83, in FHE 141, 369, unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.03.1958 – VII C 84.57, in BVerwGE 6, 247, 255, das seinerseits insoweit Bezug nahm auf Blendermann, Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis, Heft 54 der Veröffentlichungen des Instituts Finanzen und Steuern, S. 46 Anm. 129, 49/50, 54, 57, 89 [↩]
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[…] u.a. das Finanzgericht Hamburg – wie hier berichtet – Bedenken an der Verfassungsmässigkeit der Kernbrennstoffsteuer geäußert hatte, […]