Viele Steuerpflichtige kennen die sogenannten Nachzahlungszinsen.
Vereinfacht gesagt: Wurden gewisse Steuern 15 Monate nach ihrer Entstehung nicht entrichtet, so ist der noch offene Betrag vom Steuerzahler zu verzinsen (§ 233a AO).
Die Zinshöhe ergibt sich aus § 238 Abs 1 S. 1 AO:
Die Zinsen betragen für jeden Monat einhalb Prozent.
Das hört sich nicht viel an, jedoch hat der Fiskus allein bei der steuerlichen Betriebsprüfung im Bereich der Zinsen nach § 233a AO in den letzten Jahren mehr als 2 Mrd € eingenommen.
Nunmehr hat der Bundesfinanzhof im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015 Zweifel geäussert.
Der Bundesfinanzhof hat daher in diesem summarischen Verfahren Aussetzung der Vollziehung (AdV) gewährt.
In dem konkreten Fall setzte das beklagte Finanzamt die von den Antragstellern für das Jahr 2009 zu entrichtende Einkommensteuer zunächst auf 159.139 € fest. Im Anschluss an eine Außenprüfung änderte das Finanzamt die Einkommensteuerfestsetzung auf 2.143.939 €. Nachzuzahlen war eine Steuer von 1.984.800 €. Das Finanzamt verlangte zudem in dem mit der Steuerfestsetzung verbundenen Zinsbescheid für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis 16.11.2017 Nachzahlungszinsen in Höhe von 240.831 €. Die Antragsteller begehren die AdV des Zinsbescheids, da die Höhe der Zinsen von einhalb Prozent für jeden Monat verfassungswidrig sei.
Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (bis zur Entscheidung über die Hauptsache) wurde vom Finanzamt zurückgewiesen. Das Finanzgericht Köln hat den daraufhin an ihn gerichteten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ebenfalls zurückgewiesen1.
Der Bundesfinanzhof hat nun dem Antrag stattgegeben und die Vollziehung des Zinsbescheids in vollem Umfang ausgesetzt.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes u.a. dann ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen.
Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken2. Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein3. Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so hat es gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Das dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltene Verwerfungsmonopol hat zur Folge, dass das Fachgericht Folgerungen aus der (von ihm angenommenen) Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes im Hauptsacheverfahren erst nach deren Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht ziehen darf. Die Fachgerichte sind jedoch durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung dadurch nicht vorweggenommen wird4.
Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinshöhe betreffen die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung und sind damit verfahrensrechtlich gegen diese geltend zu machen5.
Nach diesen Maßstäben ist die AdV in dem von den Antragstellern beantragten Umfang zu gewähren. Die angegriffene Zinshöhe in § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO begegnet durch ihre realitätsferne Bemessung mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Übermaßverbot für den hier in Rede stehenden Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln.
Es bestehen schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob die Zinshöhe von einhalb Prozent für jeden Monat (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO) mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar ist6.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Steuergesetze müssen, um für die Massenvorgänge des Wirtschaftslebens praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, regelmäßig typisieren und dabei in weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen7. Außerdem darf eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren8.
Der gesetzlich festgelegte Zinssatz gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 AO überschreitet für den hier in Rede stehenden Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 angesichts der zu dieser Zeit bereits eingetretenen strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße. Das Niedrigzinsniveau stellt sich jedenfalls für den Streitzeitraum nicht mehr als vorübergehende, volkswirtschaftstypische Erscheinung verbunden mit den typischen zyklischen Zinsschwankungen dar, sondern ist struktureller und nachhaltiger Natur (vgl. Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2014 vom 25. November 2014, S. 8, 13, 30, 38, 39, 56, die bereits von „seit Jahren anhaltender Niedrigzinsphase“ spricht). Der Annahme eines verfestigten Niedrigzinsniveaus kann dabei nicht entgegengehalten werden, dass bei Kreditkartenkrediten für private Haushalte Zinssätze von rund 14 v.H. oder bei Girokontenüberziehungen Zinssätze von rund 9 v.H. anfallen9; denn es handelt sich insoweit um Sonderfaktoren, die nicht als Referenzwerte für ein realitätsgerechtes Leitbild geeignet sind.
Eine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe besteht bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht.
Der Gesetzgeber hat bei der Einführung der seit dem Jahr 1961 unveränderten Zinshöhe von einhalb Prozent für jeden Monat durch § 5 Abs. 1 des Steuersäumnisgesetzes vom 13. Juli 196110 die Typisierung des Zinssatzes mit dem Interesse an Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung begründet11. Solche Erwägungen können allerdings für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 angesichts des gänzlich veränderten technischen Umfelds und des Einsatzes moderner Datenverarbeitungstechnik bei einer Anpassung der Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i.S. des § 247 BGB nicht mehr tragend sein12. Dies wird beispielhaft durch Regelungen wie in Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b Doppelbuchst. dd des Kommunalabgabengesetzes Bayern (KAG BY) bestätigt. Diese von der bayerischen Kommunalverwaltung – welche in ihrer Größe kaum an die Finanzverwaltung heranreichen dürfte – anzuwendende Norm ist durch das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 11.03.2014 (GVBl, S. 70) mit Wirkung ab dem 01.04.2014 dahingehend geändert worden, dass für den im Anwendungsbereich des KAG BY heranzuziehenden Zinssatz insoweit nicht mehr § 238 Abs. 1 Satz 1 AO maßgebend ist, sondern die Höhe der Zinsen zwei Prozentpunkte über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB jährlich beträgt.
Dies belegt, dass die Praktikabilität oder die Verwaltungsvereinfachung nicht mehr einen realitätsfernen Zinssatz rechtfertigen, wenn es bei den Kommunalabgaben eines Bundeslandes für vergleichbare Zinsfestsetzungen möglich ist, einen realitätsgerechteren Zinssatz als Bezugsgröße zu wählen.
Für die Höhe des Zinssatzes in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO fehlt es überhaupt an einer nachvollziehbaren Begründung.
Auch der Telos der Verzinsung rechtfertigt die gesetzliche Zinshöhe nicht. Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht ist es, den Nutzungsvorteil wenigstens z.T. abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen kann, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten materiellen Recht „an sich“ dem Steuergläubiger zusteht. Dem Ziel würde Rechnung getragen, wenn für den Steuerpflichtigen zumindest die Möglichkeit besteht, die zu zahlenden Zinsen durch Anlage der nicht gezahlten Steuerbeträge oder durch die Ersparnis von Aufwendungen auch tatsächlich zu erzielen. Diese Möglichkeit war aber wegen der strukturellen Niedrigzinsphase im typischen Fall für den hier in Rede stehenden Zeitraum nahezu ausgeschlossen. Der Zweck der Verzinsung war für den Streitzeitraum nicht oder kaum erreichbar und trägt damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht.
Ebenso erscheint für den Streitzeitraum ein potentieller Zinsnachteil des Fiskus, der den nicht gezahlten Steuerbetrag nicht anderweitig nutzen konnte, angesichts des sehr niedrigen und teilweise sogar negative Zinssätze ausweisenden Refinanzierungsniveaus am Kapitalmarkt nahezu ausgeschlossen.
Eine kurzfristige „Fremdfinanzierung“ durch den Fiskus – in Gestalt einer Erhöhung der Neuverschuldung – ist für den Bund schon seit einigen Jahren praktisch zum „Nulltarif“ zu haben. In gleicher Weise würde eine kurzfristige Anlage von seitens des Steuerpflichtigen geschuldeten, haushaltsmäßig aber nicht benötigten Geldforderungen für den Fiskus keinen Zinsertrag erbringen, der eine Zinshöhe von einhalb Prozent für jeden Monat des Zinslaufs rechtfertigen könnte.
Anders als das Finanzgericht Köln meint, ergibt sich eine andere rechtliche Beurteilung nicht aus der regelmäßig zitierten Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 03.09.200913, so der Bundesfinanzhof weiter.
Im Streitfall ist die gesetzliche Zinshöhe für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 zu beurteilen. In jener Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ging es demgegenüber um die Festsetzung von Nachzahlungszinsen für die Zinszahlungszeiträume von 2003 bis 2006, in denen kein strukturell verfestigtes Niedrigzinsniveau eingetreten war.
Dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts lag darüber hinaus eine für Zinsfestsetzungen atypische Sachverhaltskonstellation zugrunde. Die Zinsfestsetzung beruhte auf einer fehlerhaft unterbliebenen Auswertung eines Grundlagenbescheids, die zunächst zu einer erheblichen Steuererstattung führte. Nachdem das Finanzamt die unterlassene Auswertung des Grundlagenbescheids erkannt hatte, erließ es einen geänderten Einkommensteuerbescheid, der zur Rückzahlung der Steuererstattung führte. In jener Fallkonstellation war die unzutreffende Steuerfestsetzung für den betroffenen und zudem fachkundigen Steuerpflichtigen ohne Weiteres erkennbar; die Zinsfestsetzung hätte daher durch einen Hinweis an das Festsetzungsfinanzamt auf die fehlerhaft unterlassene Umsetzung des Grundlagenbescheids vermieden werden können.
Wie bereits dargelegt, können angesichts der auf moderner Datenverarbeitung gestützten Automation in der Steuerverwaltung auch Erwägungen wie Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung einer Anpassung der Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i.S. des § 247 BGB nicht mehr entgegenstehen.
Auch das Argument, die Vollverzinsung wirke „gleichermaßen zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen“, ist nicht geeignet, die realitätsferne Zinshöhe des § 238 AO zu rechtfertigen. Denn der Zinssatz für Erstattungsansprüche ist mit Blick auf das strukturelle Niedrigzinsniveau während des Streitzeitraums in gleicher Weise als nicht realitätsgerecht anzusehen.
Es bestehen bei der gebotenen summarischen Prüfung überdies schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob der Zinssatz dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Übermaßverbot entspricht.
Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirkt in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein sanktionierender, rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung. Die Belastung des Steuerpflichtigen wird im Einzelfall noch dadurch verschärft, dass mit dem Gesetz zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften (Steuerbereinigungsgesetz 1999) vom 22.12.199914 die bis dahin geltende zeitliche Begrenzung des Zinslaufs auf maximal vier Jahre15 aufgehoben worden ist; seitdem gibt es keine gesetzlich bestimmte Höchstdauer für den Zinslauf mehr. Die Abschaffung der Vier-Jahres-Grenze rechtfertigte der Gesetzgeber seinerzeit mit den Erwägungen der Steuergerechtigkeit und der Vereinfachung der Zinsberechnung; Steuerpflichtige sollten die relative Zinsbelastung nicht mehr durch Verzögerungen des Ablaufs einer Außenprüfung vermindern können16. In einem strukturell niedrigen Zinsumfeld wirkt der unbefristete Zinslauf für den Steuerpflichtigen weiter verschärfend. Dessen Belastung wird umso größer, je später die Steuer festgesetzt wird. Eine teilweise Kompensation durch eine steuerliche Abzugsmöglichkeit der Nachzahlungszinsen tritt nicht ein. Die Nachzahlungszinsen zur Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer führen zu nicht abzugsfähigen Ausgaben oder Aufwendungen17.
Der Eintritt der Verzinsung und die Dauer des Zinslaufs waren im Streitfall für die betroffenen Antragsteller auch nicht vermeidbar. Die Länge des Zinslaufs hing von für die Antragsteller nicht oder kaum beeinflussbaren Faktoren ab, insbesondere den Beginn und die Dauer der Außenprüfung sowie die Auswertung von deren Ergebnissen.
Eine sachliche Rechtfertigung für die nicht realitätsgerechte Belastung besteht bei summarischer Prüfung nicht. Insbesondere geht der Zweck der Verzinsungspflicht, potentielle Liquiditäts- oder Zinsvorteile abzuschöpfen, für den Streitzeitraum ins Leere.
Anders als das Finanzgericht Köln meint, haben die Antragsteller auch ein berechtigtes Interesse an der AdV des angefochtenen Zinsbescheids, so der Bundesfinanzhof. Im Streitfall fällt die Interessenabwägung zugunsten der Antragsteller aus.
Zum einen gehen die schwerwiegenden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden gesetzlichen Regelung über das Maß an Zweifeln hinaus, welches üblicherweise von der Rechtsprechung für die Gewährung der AdV für erforderlich angesehen wird. Zum anderen ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass eine AdV im Streitfall das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung berühren könnte; vielmehr ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber die Notwendigkeit einer Anpassung der Zinshöhe bekannt ist.
So hat der Bundesfinanzhof bereits mit seinem Urteil vom 01.07.201418 für Verzinsungszeiträume nach dem 21.03.2011 darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber bei dauerhafter Verfestigung des Niedrigzinsniveaus von Verfassungs wegen gehalten ist zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung zur gesetzlichen Zinshöhe auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist.
Ein Hinweis dafür, dass der Gesetzgeber selbst mit Blick auf die nicht mehr realitätsgerechte gesetzliche Zinshöhe ein gesetzgeberisches Handeln als notwendig angesehen hat, folgt im Übrigen aus der – nach Art. 97 § 8 Abs. 4 Satz 1 EGAO erstmals für nach dem 31.12.2018 einzureichende Steuererklärungen geltenden – Regelung für die Bemessung von Verspätungszuschlägen gemäß § 152 Abs. 5 AO i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens (StModernG) vom 18.07.201619. Diese legt nach § 152 Abs. 5 Satz 2 AO bei jährlich zu veranlagenden Steuern einen typisierten Zuschlag von 0,25 Prozent der festgesetzten Steuer je angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung zugrunde. Zu den jährlich zu veranlagenden Steuern gehören die Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer, die auch der Verzinsung nach § 233a AO i.V.m. § 238 AO unterfallen. Im Rahmen der vorbereitenden Überlegungen zur Neuregelung des § 152 AO durch das StModernG war zunächst erwogen worden, die Höhe des Verspätungszuschlags für diese Steuern an der Höhe der Zinsen nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO mit einhalb Prozent für jeden angefangenen Monat zu bemessen. Angesichts der als zweifelhaft angesehenen Höhe einer solchen Pauschalierung wurde jedoch davon Abstand genommen und zur Vermeidung verfassungsrechtlicher Zweifel für die Bemessung des Verspätungszuschlags eine Pauschalierung von 0,25 Prozent je angefangenen Monat zugrunde gelegt.
Aufgrund des verfestigten Niedrigzinsniveaus hat der Gesetzgeber zudem bereits den Abzinsungssatz von Rückstellungen für Altersversorgungsverpflichtungen in der Handelsbilanz geändert. Für die Berechnung dieses Abzinsungssatzes war auf den durchschnittlichen Marktzinssatz der vergangenen sieben Jahre abzustellen (§ 253 Abs. 2 Satz 1 HGB a.F.). Da durch das nachhaltig niedrige Zinsniveau der maßgebende Durchschnittszinssatz stark sank, benötigten die Unternehmen für die Absicherung der zugesagten Altersversorgung eine wesentlich höhere Rückstellung. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften vom 11.03.201620 wurde dieser Nachteil im Niedrigzinsumfeld abgemildert und der Betrachtungszeitraum für die Berechnung des Durchschnittszinssatzes im Rahmen des § 253 Abs. 2 HGB insoweit von sieben auf zehn Jahre verlängert. Die Änderung war erstmals im Jahresabschluss für nach dem 31. Dezember 2015 endende Geschäftsjahre anzuwenden (Art. 75 Abs. 6 HGBEG). Darüber hinaus bestand ein Wahlrecht, wonach die Neuberechnung der Abzinsung bereits für ein Geschäftsjahr angewandt werden konnte, das nach dem 31. Dezember 2014 beginnt und vor dem 1. Januar 2016 endete (Art. 75 Abs. 7 HGBEG).
Nach alledem ist angesichts der erheblichen Höhe der Zinszahlung dem Interesse der Antragsteller an einer AdV des angefochtenen Zinsbescheids Vorrang zu geben – so der Bundesfinanzhof.
Die Vollziehung wird mit der Maßgabe aufgehoben, dass in der Vergangenheit entstandene Säumniszuschläge entfallen21.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25.04.2018 – IX B 21/18
ECLI:DE:BFH:2018:BA.250418.IXB21.18.0
- FG Köln, Beschluss vom 29.01.2018 – 15 V 3279/17 [↩]
- BFH, Beschluss vom 25.09.2017 – IX S 17/17 [↩]
- BVerfG, Urteil vom 21.02.1961 – 1 BvR 314/60, BVerfGE 12, 180, BStBl. I 1961, 63; BFH, Beschlüsse vom 05.03.2001 – IX B 90/00, BFHE 195, 205, BStBl. II 2001, 405; vom 22.12.2003 – IX B 177/02, BFHE 204, 39, BStBl. II 2004, 367 [↩]
- BVerfG, Beschluss vom 24.06.1992 – 1 BvR 1028/91, BVerfGE 86, 382 [↩]
- BFH, Beschluss vom 31.05.2017 – I R 77/15 [↩]
- Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags vom 16.02.2017, WD 4 – 3000 – 011/17 [↩]
- BVerfG, Urteil vom 20.04.2004 – 1 BvR 1748/99, 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274; BVerfG, Beschluss vom 15.01.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1 [↩]
- BVerfG, Beschlüsse vom 07.10.1969 – 2 BvR 555/67; vom 12.10.2010 – 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224 [↩]
- BFH, Urteil vom 09.11.2017 – III R 10/16, BFHE 260, 9 [↩]
- BGBl. I 1961, 981, 994 f. [↩]
- BT-Drs. 3/2573, S. 33; BT-Drs. 11/2157, S. 194 [↩]
- BFH, Urteil vom 01.07.2014 – IX R 31/13, BFHE 246, 193, BStBl. II 2014, 925 [↩]
- BVerfG, Beschluss vom 03.09.2009 – 1 BvR 2539/07 [↩]
- BGBl. I 1999, 2601 [↩]
- § 233a Abs. 2 Satz 3 AO a.F., eingeführt durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25.07.1988, BGBl. I 1988, 1093, zuletzt i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1997 vom 20.12.1996, BGBl. I 1996, 2049 [↩]
- BT-Drs. 14/1514, S. 48 [↩]
- § 12 Nr. 3 EStG, § 10 Nr. 2 KStG, § 4 Abs. 5b EStG [↩]
- BFH, Urteil vom 01.07.2014 – IX R 31/13, BFHE 246, 193, BStBl. II 2014, 925 [↩]
- BGBl. I 2016, 1679 [↩]
- BGBl. I 2016, 396 [↩]
- BFH, Urteil vom 30.03.1993 – VII R 37/92; BFH, Beschlüsse vom 10.12.1986 – I B 121/86, BFHE 149, 6, BStBl. II 1987, 389; vom 06.09.1989 – II B 33/89, BFH/NV 1990, 670 [↩]