Dem Bundesfinanzhof lag ein Fall zur Entscheidung vor, in dem es um die ambulante Behandlung im Rahmen der sog. Chemotherapie, die entweder durch den Krankenhausträger selbst oder durch sog. ermächtigte Krankenhausärzte erbracht wird, ging. Für beide Fälle der ambulanten Behandlung liefert der Krankenhausträger die in einer Krankenhausapotheke hergestellten Zytostatika. Das steuerrechtliche Problem hierbei ist, dass in beiden Fällen die Lieferung als mit der ambulanten Heilbehandlung eng verbundener Umsatz steuerfrei sein kann.
Die Finanzverwaltung sieht nur die ambulante Behandlung selbst, nicht aber auch die Lieferung derartiger Medikamente für ambulante Behandlungen als steuerfrei an.
Der Bundesfinanzhof sah sich an einer abschließenden Entscheidung gehindert, da die Vorschriften des nationalen Umsatzsteuerrechts in Übereinstimmung mit den Vorgaben des EU-Rechts, hier der Richtlinie 77/388/EWG, auszulegen sind und im Hinblick auf den Umfang der Steuerfreiheit nach der Richtlinie durch den EuGH zu klärende Auslegungszweifel bestehen.
Dementsprechend hat der Bundesfinanzhof ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet. Die Einleitung des Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH beruht auf Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
Die Vorlagefragen lauten wie folgt:
Zum Begriff des mit einer Krankenhausbehandlung und einer ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsatzes i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG:
1. Muss es sich bei dem eng verbundenen Umsatz um eine Dienstleistung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG handeln?
2. Falls Frage 1 zu verneinen ist: Liegt ein mit einer Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung eng verbundener Umsatz nur vor, wenn dieser Umsatz durch denselben Steuerpflichtigen erbracht wird, der auch die Krankenhausbehandlung oder ärztliche Heilbehandlung erbringt?
3. Falls Frage 2 zu verneinen ist: Liegt ein eng verbundener Umsatz auch dann vor, wenn die Heilbehandlung nicht nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG, sondern nach Buchst. c dieser Bestimmung steuerfrei ist?
Der Hintergrund der Problematik ist folgender:
1. Rechtlicher Rahmen
a) Unionsrecht
Der Mehrwertsteuer unterliegen gemäß Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG1 die „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“. Als Lieferung gilt gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG „die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“. Als Dienstleistung gilt nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG „jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstandes im Sinne des Artikels 5 ist“.
Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten
„b) die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden;
c) die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden“;
Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG sieht vor:
„b) Von der in Absatz 1 Buchstaben b), g), h), i), l), m) und n) vorgesehenen Steuerbefreiung sind Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen ausgeschlossen, wenn
– sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind;
– sie im wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden.“
b) Nationales Recht
Der Umsatzsteuer unterliegen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) „die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt“. Lieferungen eines Unternehmers sind nach § 3 Abs. 1 UStG „Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht)“. Sonstige Leistungen sind gemäß § 3 Abs. 9 UStG „Leistungen, die keine Lieferungen sind“.
Nach § 4 Nr. 14 und 16 Buchst. b UStG waren in den Streitjahren steuerfrei:
Nr. 14: „die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Absatz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker. Steuerfrei sind auch die sonstigen Leistungen von Gemeinschaften, deren Mitglieder Angehörige der in Satz 1 bezeichneten Berufe sind, gegenüber ihren Mitgliedern, soweit diese Leistungen unmittelbar zur Ausführung der nach Satz 1 steuerfreien Umsätze verwendet werden. …“
Nr. 16: „die mit dem Betrieb der Krankenhäuser … eng verbundenen Umsätze, wenn … b) bei Krankenhäusern im vorangegangenen Kalenderjahr die in § 67 Abs. 1 oder 2 der Abgabenordnung bezeichneten Voraussetzungen erfüllt … sind … .“
§ 116 SGB V bestimmte in den Streitjahren:
„Krankenhausärzte mit abgeschlossener Weiterbildung können mit Zustimmung des Krankenhausträgers vom Zulassungsausschuß (§ 96) zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten ermächtigt werden. Die Ermächtigung ist zu erteilen, soweit und solange eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten ohne die besonderen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder Kenntnisse von hierfür geeigneten Krankenhausärzten nicht sichergestellt wird. … .“
§ 116a SGB V regelte in den Streitjahren:
„Der Zulassungsausschuss kann zugelassene Krankenhäuser für das entsprechende Fachgebiet in den Planungsbereichen, in denen der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Unterversorgung festgestellt hat, auf deren Antrag zur vertragsärztlichen Versorgung ermächtigen, soweit und solange dies zur Deckung der Unterversorgung erforderlich ist.“
2. Zur Rechtslage nach nationalem Recht und zum Streitfall
a) Die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG beruht unionsrechtlich auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG. Steuerfrei sind danach die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die insbesondere von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten durchgeführt oder bewirkt werden. Trotz der im Wortlaut bestehenden Unterschiede legt der erkennende Senat § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG entsprechend seiner unionsrechtlichen Grundlage in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG richtlinienkonform aus2. Als mit dem Betrieb der Krankenhäuser eng verbundene Umsätze i.S. von § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG sind daher auch nach nationalem Recht nur die „Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze“ gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG anzusehen.
b) Die Klägerin erfüllt im Streitfall die personenbezogenen Voraussetzungen des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG. Sie ist zwar keine Einrichtung des öffentlichen Rechts, aber eine Krankenanstalt im Sinne dieser Bestimmung, die unter in sozialer Hinsicht vergleichbaren Bedingungen tätig ist, da sie die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG erfüllt. Die Klägerin ist daher zur Erbringung steuerfreier Leistungen im Krankenhausbereich grundsätzlich berechtigt, so dass nur die Frage streitig ist, auf welche ihrer Leistungen die Steuerfreiheit anzuwenden ist.
c) Die von der Klägerin hergestellten Zytostatika wurden in zwei Fallgruppen für ambulant erbrachte Heilbehandlungsleistungen verwendet.
aa) Die Klägerin verwendete die von ihr hergestellten Zytostatika bei ambulanten Heilbehandlungen, die sie in dem von ihr als Krankenhausträger betriebenen Krankenhaus durchführte. Die Behandlung von Patienten, die gesetzlich krankenversichert sind, erfolgt dabei sozialversicherungsrechtlich auf der Grundlage von § 116a SGB V.
bb) Die von der Klägerin hergestellten Zytostatika wurden auch für ambulante Behandlungen verwendet, die Krankenhausärzte als selbständig tätige Steuerpflichtige für gesetzlich pflichtversicherte Patienten aufgrund einer Ermächtigung nach der sozialversicherungsrechtlichen Regelung des § 116 SGB V in den Räumen des von der Klägerin als Krankenhausträger betriebenen Krankenhauses erbrachten. § 116 SGB V ermöglicht es, „ermächtigten“ Krankenhausärzten, die in einem Beschäftigungsverhältnis zum Krankenhausträger stehen und insoweit als Gehaltsempfänger i.S. von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG gegenüber dem Krankenhausträger unselbständig tätig sind, als selbständig tätige Steuerpflichtige ambulante Heilbehandlungsleistungen in einem Krankenhaus zu erbringen. Sozialversicherungsrechtlich unterscheidet sich die Tätigkeit der Krankenhausärzte insoweit nicht von der eines in eigener Praxis niedergelassenen Arztes.
Im Hinblick auf die der zweiten Fallgestaltung zugrunde liegenden Leistungsbeziehungen ist zu beachten, dass der Krankenhausarzt im Rahmen des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung seine Heilbehandlungsleistung gegen Entgelt i.S. von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG an die gesetzliche Krankenkasse des Patienten erbringt. Die Lieferung der auf Verordnung des Krankenhausarztes hergestellten Zytostatika durch die Klägerin erfolgte dabei gleichfalls an die gesetzliche Krankenkasse des Patienten. Die gesetzliche Krankenkasse ist umsatzsteuerrechtlich Empfänger beider Leistungen, da sie diese Leistungen nach den der Umsatztätigkeit zugrunde liegenden Rechtsverhältnissen bezieht, um sie an die bei ihr pflichtversicherten Patienten abzugeben. Ein unmittelbarer Leistungsbezug durch den Patienten liegt nach der Ausgestaltung des Krankenversicherungsschutzes im nationalen Recht nur bei privat versicherten Patienten vor, die gegenüber Arzt und Krankenhaus selbst zahlungsverpflichtet sind und Erstattungsansprüche gegen ihre Versicherungsgesellschaften haben.
3. Zu den Vorlagefragen
a) In seiner zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ergangenen Rechtsprechung ist der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) davon ausgegangen, dass „nur Dienstleistungen, die naturgemäß im Rahmen von Krankenhausbehandlungen und ärztlichen Heilbehandlungen erbracht werden und im Prozess der Erbringung dieser Dienstleistungen … zur Erreichung der damit verfolgten therapeutischen Ziele unentbehrlich sind, ‚eng verbundene Umsätze‘ im Sinne dieser Vorschrift darstellen“ können und dass nur „solche Leistungen … sich nämlich auf die Kosten der medizinischen Behandlungen auswirken [können], die dem Einzelnen durch die in Rede stehende Steuerbefreiung zugänglich gemacht werden“3. In seinem Urteil vom 10.06.2010 – C-262/08, Copy Gene4 hat der EuGH zu „den ärztlichen Leistungen … festgestellt, dass angesichts des Zwecks, der mit der in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung verfolgt wird, nur Leistungen, die naturgemäß im Rahmen von Dienstleistungen der Krankenhausbehandlung und ärztlichen Heilbehandlungen erbracht werden und im Prozess der Erbringung dieser Dienstleistungen zur Erreichung der damit verfolgten therapeutischen Ziele unentbehrlich sind, ‚eng verbundene Umsätze‘ im Sinne dieser Bestimmung darstellen können“5.
b) Der Bundesfinanzhof versteht diese Rechtsprechung dahingehend, dass es sich bei den Tätigkeiten der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung um Dienstleistungen i.S. von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG handeln muss. Weiter ist dem EuGH-Urteil Ygeia in Slg. 2005, I-10373 zu entnehmen, dass auch der eng verbundene Umsatz eine Dienstleistung in diesem Sinne sein muss, so dass eine Lieferung gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG kein eng verbundener Umsatz wäre.
Ob eine derartige Einschränkung tatsächlich besteht, ist aber als die Auslegung der Richtlinie betreffende Frage klärungsbedürftig, da sich die Befreiung gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG auf „eng verbundene Umsätze“ erstreckt, was grundsätzlich die beiden in Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG genannten Umsatzarten der Lieferung (Art. 5 der Richtlinie 77/388/EWG) und der Dienstleistung (Art. 6 der Richtlinie 77/388/EWG) einschließt. Eine Einschränkung der eng verbundenen Umsätze auf Dienstleistungen erscheint daher im Hinblick auf den Wortlaut der Richtlinie fraglich.
Zu berücksichtigen könnte dabei auch sein, dass der EuGH in seinem Urteil Ygeia in Slg. 2005, I-10373 über die den vorliegenden Streitfall betreffende erste Vorlagefrage nicht abschließend zu entscheiden hatte, da Gegenstand der Leistungen, deren Steuerfreiheit als eng verbundener Umsatz in der Rechtssache Ygeia in Slg. 2005, I-10373 streitig war, die Nutzungsüberlassung von Fernsehgeräten und Telefonen war, die umsatzsteuerrechtlich als Dienstleistungen, nicht aber als Lieferungen einzuordnen sind. Möglicherweise deshalb hat der EuGH in Bezug auf den eng verbundenen Umsatz nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG in seinem Urteil Copy Gene in Slg. 2010, I-5053 auf den Begriff der „Leistungen“ abgestellt, der gleichermaßen Lieferungen und Dienstleistungen umfasst.
c) Die erste Vorlagefrage ist für beide Fallgruppen der ambulanten Behandlung (s. oben II.2.c) entscheidungserheblich.
Der Steuerfreiheit steht nicht bereits entgegen, dass in beiden Fallgruppen nur ambulant-ärztliche Heilbehandlungen vorliegen, da sich die Steuerfreiheit gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG nicht auf stationär erbrachte Heilbehandlungen beschränkt. Es ist nicht erforderlich, dass zugleich auch eine (stationäre) Krankenhausbehandlung vorliegt.
Das Vorliegen einer Lieferung ergibt sich aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG. Die Zytostatika sind körperliche Gegenstände. Die Befähigung, wie ein Eigentümer verfügen zu können, wird durch die Überlassung zum bestimmungsgemäßen Verbrauch, dem Verbrauch der Zytostatika im Rahmen der ambulanten Heilbehandlung, übertragen. Dass die Zytostatika speziell für einzelne Patienten nach den Bedürfnissen des jeweiligen Patienten hergestellt wurden und für andere Patienten nicht verwendungsfähig waren, steht der Annahme einer Lieferung – wie auch in anderen Fällen, in denen körperliche Gegenstände speziell nach den Vorgaben des Kunden individuell angefertigt werden – nicht entgegen.
Eine Lieferung liegt auch insoweit vor, als die Klägerin die Zytostatika für eigene ambulante Heilbehandlungen verwendete.
Dies ergibt sich daraus, dass der EuGH in seiner zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG ergangenen Rechtsprechung davon ausgeht, dass sich „die Abgabe von Arzneimitteln …, die von einem Arzt oder anderen hierzu ermächtigten Personen verordnet werden, in tatsächlicher und in wirtschaftlicher Hinsicht von der Dienstleistung [der Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin] trennen“ lässt, wenn „man von den Lieferungen kleineren Umfangs ab[sieht], die bei der Heilbehandlung unbedingt notwendig sind,“6.
Für eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG spricht, dass sich die Begriffe „ärztliche Heilbehandlung“ in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG und „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ in Buchst. c dieser Bestimmung der Art nach auf dieselben Leistungen beziehen7.
d) Zur zweiten Vorlagefrage
Mit der zweiten wiederum Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG betreffenden Auslegungsfrage soll geklärt werden, ob der Begriff des eng verbundenen Umsatzes voraussetzt, dass der Steuerpflichtige, der diesen Umsatz erbringt, zugleich auch eine Krankenhausbehandlungs- oder eine ärztliche Heilbehandlungsleistung an den Empfänger des eng verbundenen Umsatzes erbringt.
Nach der Rechtsprechung des EuGH handelt es sich bei den mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsätzen i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG um Nebenleistungen, die an den Empfänger einer Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung als Hauptleistung erbracht werden8.
Der Bundesfinanzhof hat Zweifel, welche Bedeutung dieser Bezugnahme auf das Verhältnis von Haupt- und Nebenleistung für die Auslegung des Begriffs des eng verbundenen Umsatzes zukommt.
Diese zweite Vorlagefrage ist nur für die Abgabe von Zytostatika in Zusammenhang mit den ambulanten Leistungen der selbständig tätigen Krankenhausärzte in der zweiten Fallgruppe (s. oben II.2.c bb) entscheidungserheblich.
e) Zur dritten Vorlagefrage
Der Bundesfinanzhof geht davon aus, dass die durch die selbständig tätigen Krankenhausärzte im Krankenhaus der Klägerin erbrachten Heilbehandlungsleistungen zwar nicht nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG, aber nach Buchst. c dieser Bestimmung steuerfrei sind. Gegenteiliges ist nach Auffassung des Bundesfinanzhofes nicht der EuGH-Rechtsprechung zu entnehmen, nach der „sich Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie auf Leistungen bezieht, die in Krankenhäusern erbracht werden, während sich Buchst. c dieses Absatzes auf diejenigen Heilbehandlungen bezieht, die außerhalb von Krankenhäusern, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort, erbracht werden“9. Diese Rechtsprechung, die sich nur auf die allgemeine Abgrenzung dieser beiden Steuerbefreiungen bezieht, steht nach Auffassung des erkennenden Senats einer Anwendung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG auf Heilbehandlungsleistungen, die selbständig tätige Ärzte in den Räumen von Krankenhäusern erbringen, nicht entgegen, da für die Annahme, ein Arzt könne als Steuerpflichtiger in einem Krankenhaus keine steuerfreie Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin erbringen, keinerlei sachliche Gründe erkennbar sind.
Sollte die zweite Vorlagefrage zu verneinen sein, so dass der eng verbundene Umsatz nicht von demselben Steuerpflichtigen erbracht werden muss, der auch die Heilbehandlungsleistung ausführt, könnte dies weitergehend auch die Annahme rechtfertigen, dass ein Arzt, dessen Heilbehandlungsleistungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei sind und der diese Leistungen steuerfrei auch in den Räumen eines Krankenhauses erbringen kann (s. oben II.2.c bb), die steuerfreie Hauptleistung ausführen kann, zu der der eng verbundene Umsatz des Krankenhauses als nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG steuerfreie Nebenleistung hinzutritt.
Hierfür könnte angeführt werden, dass sich die Begriffe „ärztliche Heilbehandlung“ in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG und „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ in Buchst. c dieser Bestimmung der Art nach auf dieselben Leistungen beziehen7.
Gegen eine derartige Auslegung könnte indes das Erfordernis einer hinreichend klaren Abgrenzung des Umfangs der steuerfreien Leistungen sowie die Entscheidung des Unionsgesetzgebers sprechen, eng verbundene Umsätze nur im Rahmen von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG von der Steuer zu befreien, während eine vergleichbare Regelung für Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG nicht vorliegt.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.05.12 – V R 19/11
- Richtlinie 77/388/EWG [↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 25.01.2006 – V R 46/04; und vom 26.08.2010 – V R 5/08 [↩]
- EuGH, Urteil vom 01.12.2005 – C-394/04, Ygeia, Slg. 2005, I-10373 Rdnr. 25 [↩]
- EuGH, Slg. 2010, I-5053 [↩]
- EuGH, Urteil Copy Gene in Slg. 2010, I-5053Rdnr. 40 [↩]
- EuGH, Urteil vom 23.02.1988 – C-353/85, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1988, 817 Rdnrn. 33 bis 35 [↩]
- EuGH, Urteil Copy Gene in Slg. 2010, I-5053 Rdnr. 28 [↩] [↩]
- EuGH, Urteile Ygeia in Slg. 2005, I-10373 Rdnr. 18, und Copy Gene in Slg. 2010, I-5053 Rdnr. 39 [↩]
- EuGH, Urteil Copy Gene in Slg. 2010, I-5053Rdnr. 27 [↩]