Umsätze aus dem Betrieb einer Kampfsportschule sind steuerfrei, soweit die erbrachten Leistungen nicht lediglich den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben und vergleichbare Leistungen in Schulen oder Hochschulen erbracht werden, so der Bundesfinanzhof in einer aktuellen Entscheidung.
Der Kläger betrieb eine Schule für WingTsun. Bei dieser Sportart handelt es sich nach einer vom Kläger herausgegebenen Werbebroschüre um „Kampf- und Bewegungskunst“.
Unter Vorlage einer Bescheinigung des zuständigen Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft, wonach die vom Kläger erbrachten Unterrichtsleistungen zur Vorbereitung auf den Beruf des Kampfkunstlehrers WingTsun steuerfreie Leistungen im Sinne des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG darstellten, beantragte dieser, die zunächst als steuerpflichtig erklärten Umsätze nunmehr als umsatzsteuerfrei zu behandeln. Das Finanzamt behandelte die Umsätze hingegen weiterhin als steuerpflichtig.
Das Finanzgericht wies die dagegen gerichtete Klage ab, weil die WingTsun-Schule des Klägers keine berufsbildende Einrichtung i.S. von § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG sei und die Umsätze ebenso wenig nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG – nunmehr Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der MwStSystRL – von der Umsatzsteuer befreit seien.
Der Bundesfinanzhof beurteilt dies jedoch so, wie eingangs zusammengefasst.
Die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Schulen waren in der in den Streitjahren noch bis zum 31.03.1999 geltenden Fassung des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG von der Umsatzsteuer befreit, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigte, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Auch nach der in den Streitjahren ab dem 01.04.1999 geltenden Fassung des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG sind die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen von der Umsatzsteuer befreit, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten.
Unionsrechtlich beruht § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG (gleiches gilt für die Vorgängervorschrift § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG)) auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG (nunmehr Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL)1.
Die Mitgliedstaaten befreien nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG die Umsätze von der Steuer, die „die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung“ betreffen.
Diese Richtlinienbestimmung wurde wie auch andere in Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG aufgeführte Steuerbefreiungen vom nationalen Gesetzgeber bisher lediglich dadurch „umgesetzt“, dass er die schon bei Inkrafttreten der Richtlinie 77/388/EWG vorhandenen, teilweise bereits im UStG 1951 enthaltenen Steuerbefreiungstatbestände im Wesentlichen unverändert weitergeführt hat2.
Im Streitfall bedurfte es keiner Entscheidung, ob die Steuerfreiheit der streitigen Leistungen aus § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG (gleiches gilt für die Vorgängervorschrift § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG) folgt und inwieweit eine richtlinienkonforme Auslegung dieser Vorschrift möglich ist, weil sich der Kläger jedenfalls grundsätzlich für die Umsatzsteuerfreiheit der streitigen Leistungen auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann3. In Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen ist die Berufung eines Einzelnen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die – wie hier – inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften möglich4.
Im Streitfall kommt entgegen der Auffassung des Finanzgerichts eine Steuerfreiheit der streitigen Leistungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG in Betracht.
Bei der vom Kläger betriebenen WingTsun-Schule handelt es sich um eine „andere Einrichtung mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung“ i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG.
Der Begriff „Einrichtung“ erfasst auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht, soweit der Richtliniengesetzgeber – wie hier in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG – die Inanspruchnahme der betreffenden Befreiungen nicht ausdrücklich vom Fehlen eines Gewinnstrebens abhängig gemacht hat5.
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts besitzt der Kläger eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde, wonach die von ihm erbrachten Unterrichtsleistungen der Vorbereitung auf den Beruf des Kampfkunstlehrers WingTsun dienen und Leistungen i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG darstellen.
Eine derartige Bescheinigung genügt grundsätzlich für die Anerkennung als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG5.
Entgegen dem Vorbringen des Finanzamtes bindet die Bescheinigung sowohl die Finanzbehörden als auch die Finanzgerichte dahingehend, dass es sich bei der anerkannten Einrichtung um eine solche mit vergleichbarer Zielsetzung handelt. Bei der Entscheidung, die insoweit der zuständigen Landesbehörde übertragen ist, handelt es sich nicht um spezifisch steuerrechtliche Fragen, die hinsichtlich ihrer rechtlichen Beurteilung dem Aufgabenbereich der Finanzbehörden zuzuordnen wären6.
Dem steht nicht entgegen, dass die zuständige Landesbehörde nicht zu entscheiden hat, ob die Voraussetzungen einer allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtung i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG gegeben sind. Dies ist von den Finanzbehörden gesondert zu prüfen und unterliegt auch der vollen Nachprüfbarkeit durch die Finanzgerichte7.
Für die streitigen Leistungen kommt in Betracht, dass sie als „Schul- oder Hochschulunterricht“ i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG zu beurteilen sind8. Das Finanzgericht hat dieses Urteil des Bundesfinanzhofs, in dem die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2007 umgesetzt wurde, nicht berücksichtigt. Es ging stattdessen unter Hinweis auf die ältere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs im Urteil in BStBl. II 2004, 252 unzutreffend davon aus, dass allein maßgeblich sei, ob – was hier nicht der Fall sei – die Voraussetzungen einer beruflichen Ausbildung, beruflichen Fortbildung oder beruflichen Umschulung erfüllt seien.
Der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG beschränkt sich nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern er schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben5.
Die Steuerfreiheit der streitigen Leistungen hängt demnach nicht davon ab, dass die angebotenen Lehrgänge weder Teil einer gesetzlich geregelten Berufsaus- oder Berufsfortbildung sind, noch auf einen bestimmten Beruf vorbereiten. Auf die Ziele der die Einrichtung besuchenden Personen kommt es für die Steuerbefreiung nicht an. Entscheidend sind vielmehr die Art der erbrachten Leistungen und ihre generelle Eignung als Schul- oder Hochschulunterricht. Deshalb ist es auch ohne Belang, wie hoch der Anteil der Schüler ist, die die Lehrgänge des Klägers tatsächlich im Hinblick auf eine Berufsausbildung oder eine Prüfungsvorbereitung besuchten oder später tatsächlich den Beruf des Kampfkunstlehrers ergriffen haben8.
Dementsprechend hat der Bundesfinanzhof das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben. Eine endgültige Entscheidung war dem Bundesfinanzhof jdeoch nicht möglich, da die Sache noch nicht spruchreif war.
Der Bundesfinanzhof verwies die Sache an das Finanzgericht zurück, damit es Feststellungen dazu trifft, ob und ggf. welche der vom Kläger in seiner Schule angebotenen Unterweisungen den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben und ob vergleichbare Leistungen in Schulen oder Hochschulen, gleich ob öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisiert, erbracht werden.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.05.2013 – XI R 35/11
- BFH, Urteile vom 10.06.1999 – V R 84/98, in BStBl. II 1999, 578; vom 23.08.2007 – V R 4/05, in BFHE 217, 327; vom 10.01.2008 – V R 52/06, in BFHE 221, 295; vom 24.01.2008 – V R 3/05, in BStBl. II 2012, 267 [↩]
- BFH, Urteile vom 21.03.2007 – V R 28/04, in BStBl. II 2010, 999; in BFHE 221, 295; in BStBl. II 2012, 267 [↩]
- BFH, Urteile vom 19.05.2005 – V R 32/03, in BStBl. II 2005, 900; vom 18. August 2005 – V R 71/03, in BStBl. II 2006, 143; in BFHE 221, 295; in BStBl. II 2012, 267 [↩]
- BFH, Urteil in BFHE 233, 269 [↩]
- BFH, Urteile in BFHE 221, 295; in BStBl. II 2012, 267 [↩] [↩] [↩]
- BFH, Urteile vom 24.03.1987 – X R 38/81; vom 19.01.1989 – V R 176/83; vom 03.05.1989 – V R 83/84 [↩]
- BFH, Urteile in BStBl. II 1989, 815; in BStBl. II 2004, 252; vom 19.10.2011 – XI R 40/09 [↩]
- zur Ballettschule: BFH, Urteil in BStBl. II 2012, 267 [↩] [↩]