Rechtsmissbräuchliche Gestaltungen sind nach § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) für die Besteuerung unbeachtlich. Diese nationale deutsche Regelung ist auch im harmonisierten Mehrwertsteuerrecht weiterhin anwendbar. Wie der Bundesfinanzhof in einem jetzt veröffentlichten Urteil entschied, entspricht die deutsche Regelung den Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung, nach denen bei der Auslegung des Mehrwertsteuerrechts eine „rechtsmissbräuchliche Praxis“ zu beurteilen ist.
Im Streitfall hatte eine Tochterpersonengesellschaft einer Bank ein mehrgeschossiges Bürogebäude errichtet und anschließend für 10 Jahre steuerpflichtig an die Bank vermietet. Das Bauvorhaben war von der Bank geplant worden und speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten. Die Mittel für den Bau hatte die Tochtergesellschaft von der Bank und einer anderen Tochtergesellschaft zunächst im Wege von Gesellschafterdarlehen und später durch Übertragung aus deren Rücklagen nach § 6b des Einkommensteuergesetzes erhalten. Hätte die Bank das Gebäude selbst errichtet, wäre ein Abzug der im Zusammenhang mit dem Bau in Rechnung gestellten Umsatzsteuer als Vorsteuer nicht möglich gewesen. Denn da Kreditinstitute regelmäßig nur steuerfreie Umsätze ausführen, steht ihnen kein Vorsteuerabzug zu. Diese Einschränkung gilt für eine Tochtergesellschaft der Bank grundsätzlich nicht, die Vermietungsumsätze unter Verzicht auf die Steuerbefreiung ausführt.
Das Finanzamt versagte aber gleichwohl den von der Tochtergesellschaft geltend gemachten Vorsteuerabzug aus den Herstellungskosten des Gebäudes wegen rechtsmissbräuchlicher Gestaltung i.S. von § 42 AO 1977.
Der BFH bestätigte diese Auffassung. Die Vorschaltung einer Personengesellschaft allein zur Erlangung des Vorsteuerabzugs aus dem von ihr zu verwirklichenden Bauvorhaben sei als rechtsmissbräuchlich anzusehen, weil wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche Gründe für die Gestaltung ? insbesondere für die anschließende steuerpflichtige Vermietung des Gebäudes an die Bank ? im Streitfall nicht ersichtlich seien. Ertragsteuerliche Gründe könnten nicht als beachtliche wirtschaftliche Gründe im Sinne des § 42 AO 1977 zur Rechtfertigung einer umsatzsteuerlich unangemessenen Gestaltung angeführt werden. Dies stehe auch im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH.
Schaltet ein Kreditinstitut bei der Erstellung eines Betriebsgebäudes eine Personengesellschaft vor, die das Gebäude errichtet und anschließend unter Verzicht auf die Steuerfreiheit an das Kreditinstitut vermietet, kann darin ein Rechtsmissbrauch vorliegen, der bei der Personengesellschaft zur Versagung des Vorsteuerabzugs aus den Herstellungskosten des Gebäudes führt.
Die Gestaltung kann aber auch durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe gerechtfertigt sein. Ertragsteuerliche Gründe gehören nicht dazu.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 9. November 2006 – V R 43/04