Stellt die Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem Pferd umsatzsteuerrechtlich eine Lieferung dar, die mit dem ermäßigten Steuersatz zu besteuern ist? Das Niedersächsische Finanzgericht hat diese Frage nun bejaht.
In dem Klagevrfahren war zu klären, ob die Veräußerung von Miteigentumsanteilen an Pferden durch den Kläger in den Streitjahren 2006 bis 2008 nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) i. V. m. Anlage 2 Nr. 1 a zum UStG mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 v. H. der Umsatzsteuer zu unterwerfen ist.
Der Kläger betrieb in den Streitjahren einen Großhandel mit lebenden Pferden.
Im Jahr 2011 führte der Beklagte beim Kläger eine Außenprüfung durch, die u. a. die drei Streitjahre umfasste. Der Außenprüfer stellte dabei fest, dass der Kläger in den Streitjahren von Dritten wiederholt hälftige Miteigentumsanteile an Sportpferden erworben hatte. Auf der anderen Seite hatte er auch insgesamt vier hälftige Anteile an Pferden an Dritte verkauft, wobei bei der Erstellung der Rechnungen die Nettoerlöse mit einer Umsatzsteuer zum ermäßigten Steuersatz belastet worden waren.
Nach Auffassung des Beklagten handelte es sich bei den Veräußerungen um sonstige Leistungen nach § 3 Abs. 9 UStG mit der Folge, dass diese mit dem vollen Steuersatz der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien. Der Beklagte erließ daher nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hatte der Kläger nun vor dem Niedersächsischen Finanzgericht Erfolg.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. Anlage 2 Nr. 1 a des UStG ermäßigt sich die allgemeine Umsatzsteuer auf 7 v. H. u. a. bei der Lieferung von Pferden einschließlich reinrassiger Zuchttiere. Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die der Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Nicht von § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG werden hingegen sonstige Leistungen erfasst, zu denen nach § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG alle Leistungen gehören, die keine Lieferungen sind. Unionsrechtliche Grundlage für § 3 Abs. 1 UStG sind die Art. 14 und 15 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28.11.20061. Eine Lieferung setzt danach nach Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL grundsätzlich die Übertragung der Befähigung voraus, über einen körperlichen Gegenstand wie ein Eigentümer verfügen zu können, wobei nach Art. 15 Abs. 1 MwStSystRL bestimmte Güter (Elektrizität, Gas, Wärme oder Kälte) den körperlichen Gegenständen gleichgestellt und nach Abs. 2 die Mitgliedstaaten ermächtigt werden, bestimmte Rechte an Grundstücken, dingliche Rechte und Anteilrechte und Aktien in Bezug auf Grundstücke und Grundstücksteile den körperlichen Gegenständen gleichzustellen. Keine Gegenstände i. S. d. Art. 14 f. MwStSystRL und des § 3 Abs. 1 UStG sind dagegen Rechte und sonstige Werte einschließlich Dienstleistungen2.
Nummer 1 a der Anlage 2 zum UStG verweist zur Abgrenzung des Kreises der begünstigten Gegenstände auf den Zolltarif der Europäischen Gemeinschaft, dem die Kombinierte Nomenklatur (KN) des Harmonisierten Systems (HS) zur Bezeichnung und Kodierung der Waren zugrunde liegt. Die Auslegung der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG richtet sich allein nach zolltariflichen Vorschriften und Begriffen, soweit in der Anlage zollrechtliche Begriffe verwendet werden3. Die Warenbezeichnungen der Anlage 2 sind allerdings umsatzsteuerrechtlich auszulegen, wenn Begriffe außerhalb des zolltariflichen Sprachgebrauchs verwendet werden. Diese sind dann umsatzsteuerrechtlicher Natur und deshalb allein nach umsatzsteuerrechtlichen Gesichtspunkten auszulegen. Für die Einreihung der Waren zu den Kapiteln, Positionen und Unterpositionen des Zolltarifs gelten die „Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur „ (AV) sowie der Wortlaut der Kapitel, Positionen und Unterpositionen. Außerdem sind die Erläuterungen zum Zolltarif heranzuziehen, die im elektronischen Zolltarif im Teil Erläuterungen dargestellt sind. Für die Abgrenzung der Gegenstände der Anlage 2 zum UStG ist der Zolltarif im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes geltenden Fassung entscheidend. Gemäß Abschn. 1 der AV sind die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel nur Hinweise. Maßgebend sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist – die nachfolgenden Allgemeinen Vorschriften.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze fallen die vom Kläger in den Streitjahren ausgeführten Umsätze durch die Veräußerung von Miteigentumsanteilen an Pferden gegenüber Dritten unter den Tatbestand des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. Nr. 1 a der Anlage, weil es sich bei den fraglichen Leistungen zum einen um Lieferungen handelt und zum zweiten ihr Gegenstand – die Übertragung von Miteigentumsanteilen an den Pferden – auch von Nr. 1 a der Anlage erfasst ist.
Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei der Übertragung der Miteigentumsanteile an den Pferden um eine Lieferung i. S. d. § 3 Abs. 1 UStG. Der Europäische Gerichtshof hat zur Veräußerung von Grundstücken durch zwei unterschiedliche Rechtsakte entschieden, dass beide Veräußerungen als Lieferungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL zu bewerten sein können, wenn den Erwerbern das Grundstück jeweils so übertragen wird, dass sie jeweils über den Gegenstand faktisch so verfügen können, als wären sie ihr Eigentümer. Dies gelte auch unabhängig von der Ausgestaltung der Übertragung der Rechte in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten4. Der Bundesfinanzhof hat in zwei Entscheidungen die unentgeltliche Übertragung eines Bruchteils eines zu Vermietungszwecken genutzten Grundstücks als Geschäftsveräußerung im Ganzen gemäß § 1 Abs. 1 a UStG angesehen und ist damit von seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach ein solcher Vorgang zu einer unentgeltlichen Wertabgabe nach § 3 Abs. 9 a UStG führe, abgerückt5. Mit dieser Rechtsprechung bestätige der Bundesfinanzhof nach Auffassung der Literatur deren Ansicht, nach der ein Miteigentümer über seinen Anteil an der Sache wie ein Eigentümer verfügen könne. Es entspreche dem wirtschaftlichen Gehalt einer Miteigentumsübertragung, weil kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich sei, die Übertragung eines Miteigentumsanteils anders zu bewerten als die Übertragung des Volleigentums an der Sache6. Dieser Auffassung hat sich das Niedersächsische Finanzgericht nun angeschlossen.
Der Miteigentumsanteil an einem Pferd lässt sich als Gegenstand auch unter Nr. 1a der Anlage 2 zum UStG i. V. m. Position 0101 des Zolltarifs fassen. Danach sind lebende Tiere, konkret Pferde, taugliche Liefergegenstände zum ermäßigten Steuersatz. Ein Miteigentumsanteil an einem Pferd fällt nach Auffassung des Niedersächsischen Finanzgerichts unter diese Vorschrift, weil Gegenstand der Übertragung des Miteigentumsanteils das konkrete lebende Pferd ist, an dem das Miteigentum und der Mitbesitz verschafft werden.
Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen, weil die Finanzverwaltung in Abschn. 3.5. Abs. 3 Nr. 2 des Umsatzsteueranwendungserlasses 2011/12 zur Einordnung der Übertragung von Miteigentumsanteilen die Auffassung vertritt, diese sei als sonstige Leistung einzuordnen.
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 13.12.2012, 16 K 305/12 (Revision wurde eingelegt: BFH – XI R 4/13)
- ABl. EU Nr. L 347 Seite 1 -MwStSystRL [↩]
- EuGH, Urteil vom 22.10.2009 – Rs. C-242/08, BStBl. 2011, 559 [↩]
- BFH, Urteil vom 18.12.2008 – V R 55/06, BFH/NV 2009, 673 [↩]
- EuGH, Urteil vom 15.12.2005 – C-63/04, Slg. 2005, I – 11087 [↩]
- BFH, Urteile vom 06.09.2007 – V R 41/05, BStBl. II 2008, 65; vom 22.11.2007 V R 5/06, BStBl. II 2008, 448 [↩]
- so Nieskens, in: Rau/Dürrwächter, UStG, Loseblattsammlung, Stand: Oktober 2011, § 3 Rdnr. 1153.1 f.; Martin, in: Sölch/Ringleb, UStG, § 3 Rdnr. 48; Klenk, in: Sölch/Ringleb, § 4 Nr. 28 Rdnr. 3 [↩]