Die Kommission der Europäischen Union hat beschlossen, rechtliche Schritte gegen Deutschland einzuleiten, da das Land in zwei Fällen versäumt hat, den EU-Vorschriften über Energiesteuern (Richtlinie 2003/96/EG) und entsprechenden Urteilen des Europäischen Gerichtshofs nachzukommen. Sie wird Deutschland ein „Fristsetzungsschreiben” übersenden, das der ersten Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 228 des EG-Vertrags entspricht, da Deutschland einem Urteil des Gerichtshofs von 2004 über die Erzeugnisse nicht nachgekommen ist, die gemäß der Richtlinie als „Heizstoffe” zu besteuern sind. Darüber hinaus wird sie Deutschland eine mit Gründen versehene Stellungnahme übermitteln (zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens), weil das Land bestimmte Kraftstoffe besteuert, die für die Schifffahrt in Gemeinschaftsgewässern eingesetzt werden und der Richtlinie zufolge steuerbefreit sein sollten, wie in einem zweiten Urteil des Gerichtshofs bestätigt wurde.
Der erste Fall betrifft das Versäumnis Deutschlands, dem Urteil nachzukommen das der Europäische Gerichtshof am 24. April 2004 in der Rechtssache C-240/01, Kommission gegen Deutschland, bezüglich der Anwendung der Richtlinie 2003/96/EG über die Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom erlassen hat. Nach der Richtlinie gilt der allgemeine Grundsatz, dass Energieerzeugnisse wie Mineralöle zu besteuern sind, wenn sie als Kraftstoffe oder als Heizstoffe verwendet werden. In seinem Urteil pflichtete der Gerichtshof der Kommission darin bei, dass der Begriff „Heizstoff” im deutschen Recht enger gefasst ist als die Definition in der Richtlinie 2003/96/EG. Als Ergebnis sind Kraftstoffverwendungen, die in allen Mitgliedstaaten besteuert werden sollten, in Deutschland von der Steuer befreit. Dies könnte zur Verfälschung des Wettbewerbs führen.
Nach Artikel 228 des EG-Vertrags hat ein Mitgliedstaat alle Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes ergeben, wenn dieser festgestellt hat, dass der Staat eine Verpflichtung aus dem Gemeinschaftsrecht nicht erfüllt hat. Kommt der Staat diesem Urteil nicht nach, so kann die Kommission ein neues Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Im vorliegenden Fall hat Deutschland nach Kenntnisstand der Kommission mehr als 18 Monate nach dem Urteil in der Rechtssache C-240/01 noch keine Maßnahmen zu dessen Umsetzung ergriffen. Daher hat die Kommission beschlossen, ein neues Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten und ein Fristsetzungsschreiben zu versenden, dem zufolge Deutschland sich innerhalb von zwei Monaten äußern muss.
Im zweiten Fall ist die Lage umgekehrt. Nach der Richtlinie 92/81/EWG und der Richtlinie 2003/96/EG, die an ihre Stelle trat, sollten Kraftstoffe für die Schifffahrt in Meeresgewässern der Gemeinschaft (mit Ausnahme der privaten nichtgewerblichen Schifffahrt) von Energiesteuern befreit sein. Der Europäische Gerichtshof befand in der Rechtssache C-389/02 auf Ersuchen eines deutschen Gerichts um Vorabentscheidung, dass der Anwendungsbereich der Befreiung im deutschen Recht zu eng definiert ist, wodurch die für verschiedene Formen der Schifffahrt verwendeten Kraftstoffe nicht korrekt besteuert werden. Deutschland lässt die Befreiung für die von Schiffen in Meeresgewässern der Gemeinschaft verwendeten Kraftstoffe nur im Fall der Beförderung von Waren oder Personen zu.
Nach Kenntnisstand der Kommission hat Deutschland seine Steuerregelung bisher nicht mit dem Urteil des Gerichtshofs in Einklang gebracht. Folglich hat die Kommission beschlossen, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Da Deutschland auf das von der Kommission in diesem Jahr übermittelte Fristsetzungsschreiben nicht zufrieden stellend geantwortet hat, wird die Kommission nun eine mit Gründen versehene Stellungnahme versenden, in der Deutschland förmlich aufgefordert wird, seine Rechtsvorschriften binnen zwei Monaten zu ändern. Trifft Deutschland keine entsprechenden Maßnahmen, kann die Kommission den Europäischen Gerichtshof erneut anrufen und ihn diesmal gemäß Artikel 228 EGV auffordern, gegen Deutschland Sanktionen wegen Nichtbefolgung eines Urteils des Gerichtshofs zu verhängen.
Wichtig für den Steuerpflichtigen:
Soweit die nicht umgesetzte EU-Regelung für den einzelnen Steuerpflichtigen günstiger ist als die derzeitige deutsche Gesetzeslage, kann er sich auf das EU-Recht berufen. Jeder Steuerpflichtige kann sich in den hier beschriebenen Fällen „aussuchen“, ob er es bei der deutschen Regelung beläßt oder aber sich auf die EU-Regelung beruft, je nachdem, was ihm günstiger ist.