Verzögerung einer Außenprüfung durch das Finanzamt und der Verstoß gegen Art. 6 EMRK

Der Bundesfinanzhof hatte sich mit der Frage einer Beschwerdeführerin zu beschäftigen, ob die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur überlangen Verfahrensdauer und einem daraus abgeleiteten Verstoß gegen Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bei der Frage zu berücksichtigen ist, ob Zinsen nach § 233a AO zu erlassen sind.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wurde  zurückgewiesen.

Die Klägerin, eine GmbH, hat als Unternehmensgegenstand die Leitung einer Unternehmensgruppe sowie die Vermögensverwaltung angegeben. Im Jahr 2001 wurde die Holding GmbH (P) mit Wirkung zum 31.12.2000 auf die Klägerin verschmolzen.

Die P war für das Streitjahr (2000) erklärungsgemäß veranlagt worden. Das beklagte Finanzamt hatte mit Bescheid vom 01.02.2002 die Körperschaftsteuer gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der P in Höhe von 0 EUR festgesetzt.

Am 20.10.2006 erließ das Finanzamt gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der P eine Prüfungsanordnung für das Streitjahr. Die Außenprüfung begann tatsächlich am 17.11.2008. Die Auswertung des Prüfungsberichts vom 17.12.2013 führte zum Erlass eines entsprechend geänderten Körperschaftsteuerbescheids am 14.02.2014. Die Körperschaftsteuer wurde auf 385.395 EUR festgesetzt. Zudem wurden in diesem Bescheid Nachforderungszinsen nach § 233a AO in Höhe von 270.064 EUR festgesetzt. Dabei wurde vom Finanzamt ein Zinslauf vom 01.04.2002 bis zum 17.02.2014 (142 Monate) zugrunde gelegt.

Die Klägerin legte gegen den Körperschaftsteuerbescheid für das Streitjahr Einspruch ein, über den noch nicht entschieden worden ist. Zudem beantragte sie den Erlass der Nachforderungszinsen. Sie war der Auffassung, dass die Zinsen aus sachlichen Gründen zu erlassen seien, da die Durchführung der Außenprüfung seitens des Finanzamts schuldhaft verzögert worden sei und damit die Liquiditätsvorteile aus der verzögerten Prüfung der Klägerin aufgedrängt worden seien. Das Finanzamt war dagegen der Auffassung, dass der Vorwurf einer schuldhaft verspäteten Durchführung der Außenprüfung nicht nachvollziehbar sei und zudem eine „Verschuldensprüfung“ über die Umstände, die zu einer verspäteten Festsetzung der Steuern geführt hätten, nach dem eindeutigen Wortlaut von § 233a AO nicht stattfinde. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wurde vom Niedersächsischen Finanzgericht abgewiesen1.

Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

Bei der Rechtsfortbildungsrevision (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO) handelt es sich um einen speziellen Tatbestand der Grundsatzrevision (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). In den Fällen, in denen eine Entscheidung des Revisionsgerichts der Rechtsfortbildung dient, liegt deshalb regelmäßig auch eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung vor2.

Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den Bundesfinanzhof aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage handeln, die klärungsbedürftig und im zu erwartenden Revisionsverfahren klärungsfähig ist. Ein im allgemeinen Interesse liegendes Bedürfnis nach Klärung einer Rechtsfrage ist gegeben, wenn sich diese Frage nicht ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt, wenn sie nicht bereits durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt ist oder wenn neue Gesichtspunkte zu Unsicherheiten in der Beantwortung der Rechtsfrage führen und eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den Bundesfinanzhof erforderlich machen. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage aber nicht schon dann, wenn sie noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung gewesen ist; vielmehr ist erforderlich, dass ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt3.

Nach diesen Maßstäben kommt die Zulassung der Revision vorliegenden Fall nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht in Betracht.

Soweit die Klägerin die Frage für grundsätzlich bedeutsam hält, ob die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur überlangen Verfahrensdauer und einem daraus abgeleiteten Verstoß gegen Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bei der Frage zu berücksichtigen ist, ob Zinsen nach § 233a AO zu erlassen sind, ist es der Klägerin nicht gelungen, eine klärungsbedürftige Rechtsfrage herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zukommen soll.

Sinngemäß will die Beschwerde den zivilrechtlichen Charakter des Zinsanspruches nach § 233a AO und damit die Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK daraus ableiten, dass es sich laut der Gesetzesbegründung zu § 233a AO4 bei Nachforderungszinsen um eine laufzeitabhängige Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung und damit „im Hinblick auf den finanziellen Aspekt“ um einen zivilrechtlichen Anspruch handelt. Die Klägerin beruft sich insoweit auf die Rechtsprechung des EGMR, wonach das „Konzept der zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen“ nicht allein unter Rückgriff auf das innerstaatliche Recht des jeweiligen Staates ausgelegt werden könne. Der Rechtsprechung des EGMR sei damit zu entnehmen, dass allein die „Verortung“ der Rechtsgrundlage des Anspruchs im Steuerrecht nicht notwendigerweise gegen den zivilrechtlichen Charakter des Anspruchs angeführt werden könne. Die Klägerin lässt jedoch bei diesem Vortrag unberücksichtigt, dass der Rechtsprechung des EGMR ebenfalls zu entnehmen ist, dass es gleichwohl nicht genügt, zu zeigen, dass eine Streitigkeit finanzieller Natur ist, um die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK zu bejahen, da Rechte und Pflichten einer Einzelperson nicht notwendigerweise zivilrechtlicher Natur sind5. Steuerstreitigkeiten unterfallen nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR wie des Bundesfinanzhof6 ungeachtet der finanziellen Auswirkungen wegen des öffentlichen Charakters der Besteuerung nicht dem Anwendungsbereich „zivilrechtlicher Ansprüche und Verpflichtungen“ und damit nicht Art. 6 EMRK. Der Beschwerdeschrift ist insoweit eine vertiefte und damit ausreichende Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EGMR nicht zu entnehmen. Von daher bestehen bereits Zweifel, ob das Beschwerdevorbringen überhaupt den Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung i.S. von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt, so der Bundesfinanzhof in dem entschiedenen Fall.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.03.2016 – I B 32/15

  1. Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 26.02.2015 – 6 K 300/14 []
  2. BFH, Beschluss vom 11.09.2013 – I B 17/13 []
  3. BFH, Beschluss vom 01.09.2010 – IV B 132/09 []
  4. BT-Drs. 11/2157, S. 194 []
  5. EGMR, Urteile vom 12.07.2001 – 44759/98 []
  6. BFH, Beschluss vom 18.03.2013 – VII B 134/12 []

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