EU-Haftbefehlsgesetz

Nachdem das Bundesverfassungsgericht das ursprünglich verabschiedete EU-Haftbefehlsgesetz als verfassungswidrig verworfen hat, hat das Bundeskabinett nun einen neuen Entwurf des EU-Haftbefehlsgesetzes verabschiedet.

1. Worum geht es beim Europäischen Haftbefehlsgesetz?

  • Grundlage des Gesetzes ist der EU-Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl vom 13. Juni 2002 (RbEuHb), der den Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union erheblich vereinfachen und erleichtern soll. Diese Verbesserung der strafrechtlichen Zusammenarbeit ist gewollter und unverzichtbarer Bestandteil der Entwicklung eines einheitlichen Raums der Frei?heit, der Sicherheit und des Rechts innerhalb der Europäischen Union.
  • Mit der Umsetzung in nationales Recht wird aber kein zusätzlicher neben die §§ 112 ff. StPO tretender Haftbefehlstyp eingeführt. Der EuHb regelt lediglich das Verfahren für den Fall, dass ein EU-Mitgliedstaat (ersuchender Staat) einen Verfolgten aus einem anderen EU-Mitgliedstaat (ersuchter Staat) zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Strafvollstreckung überstellt bekommen möchte. Grundlage der Auslieferung bleibt damit letztlich – wie schon nach bisherigem Auslieferungsrecht – ein gegen den Verfolgten im ersuchenden Mitgliedstaat vorliegender Haftbefehl.
  • Da das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 18. Juli 2005 das erste Umsetzungsgesetz (EuHbG vom 21.Juli 2004) verfassungsrechtlich beanstandet und aufgehoben hat,wird nun ein neues Gesetz vorgelegt, das den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragen soll.
  • Die Umsetzung des RbEuHb erfolgt innerhalb des bereits das heutige Auslieferungsverfahren regelnden Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) in einem eigenständigen Abschnitt. Das zweistufige Verfahren des bisherigen Auslieferungsrechts – Zulässigkeitsentscheidung und Bewilligungsentscheidung – wird beibehalten. Die Änderungen beschränken sich auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu den §§ 79, 80 und 83a IRG.

2. Exkurs zum Auslieferungsverfahren nach bisherigem Recht

Beispiel:

Wird ein Franzose im Ausland wegen Totschlags gesucht, schreibt Frankreich den Betreffenden zur Fahndung im sog. Schengener Informationssystem (SIS) aus. Dieser wird bei einer Polizeikontrolle in Mannheim aufgegriffen und dort vorläufig festgenommen. Daraufhin übersendet Frankreich als ersuchender Staat den Auslieferungshaftbefehl an die örtlich zuständige Generalstaatsanwaltschaft des Bundeslandes, in dem der Verfolgte festgenommen wurde, hier also Karlsruhe. Das weitere Verfahren hängt nun davon ab, ob der Verfolgte – nach richterlicher Belehrung – seine Zustimmung zur Auslieferung erklärt.

Stimmt er zu, kann die Überstellung des Verfolgten an Frankreich ohne ein gerichtliches Verfahren erfolgen.

Zulässigkeitsentscheidung

Stimmt er nicht zu, muss das OLG Karlsruhe über das Vorliegen eines Haftgrundes (Auslieferungshaft, beispielsweise bei Gefahr, dass der Verfolgte untertaucht) und die rechtliche Zulässigkeit der Auslieferung entscheiden. Dabei prüft das Gericht beispielsweise, ob es sich um eine auslieferungsfähige Straftat (Mindesthöchststrafandrohung 1 Jahr) handelt, ob die beiderseitige Strafbarkeit gegeben ist, ob kein rechtskräftiges Urteil eines anderen Mitgliedstaats wegen derselben Tat vorliegt, etc.

Bewilligungsentscheidung

Erklärt das Gericht die Auslieferung für zulässig, entscheidet die Bewilligungsbehörde, ob sie die rechtlich zulässige Auslieferung auch durchführen will. Auch im Falle der Zustimmung des Verfolgten zu seiner Auslieferung kommt es zu diesem Prüfverfahren. Nach dem IRG ist Bewilligungsbehörde das Bundesministerium der Justiz, sofern dieses die Ausübung seiner Befugnisse nicht einer anderen Behörde übertragen hat. In der Praxis ist diese Aufgabe regelmäßig den Landesjustizverwaltungen, künftig den Generalstaatsanwaltschaften in den Ländern übertragen. In Fällen besonderer politischer, tatsächlicher oder rechtlicher Bedeutung ist sichergestellt, dass das Bundesministerium der Justiz in die Entscheidung einbezogen wird.

In der Bewilligungsentscheidung werden nochmals summarisch die Auslieferungsvoraussetzungen geprüft, insbesondere falls nachträglich neue tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte entstanden sind. Im Übrigen besteht – sofern keine völkervertraglichen Pflichten zur Bewilligung bestehen – bislang ein weites allgemein- und außenpolitisches Ermessen, ob eine rechtlich zulässige Auslieferung am Ende auch bewilligtwird. Mit dem RbEuHb werden die auf Bewilligungsebene zu treffenden Ermessensentscheidungen vor dem Hintergrund eines rechtlich zunehmend zusammenwachsenden Europas eingeschränkt. Abgelehnt werden kann eine Bewilligung beispielsweise dann, wenn wegen der selben Tat in Deutschland ein Verfahren gegen den Betroffenen geführt wird oder wenn zwei Staaten die Auslieferung desselben Verfolgten begehren und entschieden werden muss, an welchen er ausgeliefert wird.

3. Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für die Umsetzung des RbEuHB

Das Bundesverfassungsgericht hat im Juli 2005 insbesondere für die folgenden beiden Punkte konkrete Vorgaben zur Umsetzung des RbEuHB gemacht:

  • die Bewilligungsentscheidung muss gerichtlich überprüfbar sein;
  • für die Auslieferung Deutscher ist ein gesetzliches Prüfprogramm erforderlich, das die vom RbEuHb gelassenen Spielräume für eine mögliche Nichtauslieferung Deutscher nutzt.

4. Umsetzung dieser Vorgaben im vorliegenden Gesetzentwurf

Gerichtliche Überprüfung der Bewilligungsentscheidung (§ 79 IRG)

Der neue Entwurf behält die Zweiteilung in Zulässigkeits- und Bewilligungsentscheidung bei. Das heißt, dass eine Auslieferung nicht in allen Fällen bewilligt werden muss, in denen die Zulässigkeitsvoraussetzungen des IRG erfüllt sind. § 83b IRG benennt die Gründe, aus denen die Bewilligung einer Auslieferung abgelehnt werden kann, aber nicht muss. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Strafverfolgung vorrangig im Inland oder einem Drittstaat erfolgen soll. Die Entscheidung trifft die Bewilligungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen mit einem auch außenpolitischen Erwägungen zugänglichen Spielraum.

Diese Bewilligungsentscheidung muss nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gerichtlich überprüfbar sein. Um dem Betroffenen effektiven Rechtsschutz auch gegen die Bewilligungsentscheidung zu gewähren und gleichzeitig das Verfahren weiterhin zügig zu gestalten, trifft die Bewilligungsbehörde künftig nach § 79 Abs. 2 bereits vorab ihre Entscheidung, ob sie im Falle einer vom Gericht rechtlich für zulässig erklärten Auslieferung Bewilligungshindernisse sieht oder nicht und begründet diese Entscheidung. Sieht sie Bewilligungshindernisse, wird die Auslieferung bereits in diesem Stadium abgelehnt. Verneint sie hingegen das Vorliegen eines Bewilligungshindernisses, übermittelt sie ihre Begründung dem OLG zusammen mit dem Antrag, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden. Dieses Verfahren dient den Interessen des Verfolgten, weil es bei einem Mehr an Rechtsschutz die Verlängerung des Auslieferungsverfahrens, vor allem einer mögliche Auslieferungshaft vermeidet. Gleichzeitig sichert es das strenge Fristenregime, das der RbEuHb vorgibt.

Die Erfahrungen der Praxis mit dem aufgehobenen EuHbG vom 21.Juli 2004 haben gezeigt, dass sich der Aufwand der deutschen Justizbehörden zur Bearbeitung ein- und ausgehender Ersuchen reduziert hat. In einem ersten Bericht zur Umsetzung des RbEuHb in den Mitgliedstaaten vom 1. März 2005 hat die EU-Kommission festgestellt, dass sich die Dauer des Auslieferungsverfahrens EU-weit durchschnittlich von bislang über neun Monaten auf nunmehr 43 Tage verkürzt hat.

Stimmt der Verfolgte dagegen bereits bei seiner ersten Anhörung seiner Auslieferung zu, beträgt diese Frist sogar nur noch 13 Tage. Diese erhebliche Verkürzung der Dauer des Auslieferungsverfahrens und damit auch der Auslieferungshaft bedeutet auch eine erhebliche Verringerung der mit einer Auslieferung für den Verfolgten verbundenen Belastungen.

Auslieferung Deutscher und ihnen gleichgestellter Ausländer (§ 80 IRG)

In den neuen Absätzen 1 und 2 des § 80 IRG findet sich die zweite wichtige Änderung dieses Entwurfs im Vergleich zum EuHbG vom 21. Juli 2004. Dort wird im Wesentlichen das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Prüfprogramm bei der Auslieferung deutscher Staatsangehöriger gesetzlich festgeschrieben. Die Verhältnismäßigkeit einer Auslieferung muss aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben in jedem Falle zusätzlich hierzu geprüft werden.

Der neue Gesetzentwurf sieht zudem vor, die vom Bundesverfassungsgericht für Deutsche verlangten Sonderregeln auch auf legal aufhältige ausländische Staatsangehörige anzuwenden, die im Inland mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft leben.

Im Einzelnen:
§ 80 unterscheidet hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen bei der Auslieferung eigener Staatsangehöriger und nach Absatz 4 gleichgestellter Ausländer zwischen

  • der Auslieferung zur Strafverfolgung in den Absätzen 1 und 2 und
  • der Auslieferung zur Strafvollstreckung in Absatz 3, die nur zulässig ist, wenn der Betroffene zu richterlichem Protokoll zustimmt.

Nach den Absätzen 1 und 2 ist die Auslieferung zur Strafverfolgung nur zulässig, wenn

  • grundsätzlich die spätere Rücküberstellung zur Vollstreckung eine verhängten freiheitsentziehenden Sanktion gesichert ist, und die Tat
  • keinen maßgeblichen Inlandsbezug aufweist und
  • entweder einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Staat aufweist (Absatz 1)
  • die beiderseitige Strafbarkeit gegeben ist und bei konkreter Abwägung der widerstreitenden Interessen kein schutzwürdiges Vertrauen des Verfolgten in seine Nichtauslieferung besteht (Absatz 2, „Mischfälle“).

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommt es für die Frage, ob ein Deutscher an einen EU-Mitgliedstaat ausgeliefert werden kann, entscheidend auf den Auslands- bzw. Inlandsbezug der Tat an.

Straftaten mit maßgeblichem Inlandsbezug

Bei Straftaten mit maßgeblichem Inlandsbezug ist die Auslieferung Deutscher nicht zulässig. Ein maßgeblicher Inlandsbezug liegt nach Absatz 2 Satz 2 in der Regel vor, wenn sämtliche oder wesentliche Teile des Handlungs- und Erfolgsortes (§ 9 StGB) im Inland liegen (Beispiel: Ein Deutscher versteigert aus einer Wohnung in Düsseldorf mittels seines PC im Internet betrügerisch Waren; 49 von insgesamt 50 Geschädigten kommen aus Deutschland, nur ein Geschädigter wohnt im Ausland).

Straftaten mit maßgeblichem Auslandsbezug

Hat die Tat dagegen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Staat, so ist die Auslieferung nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 zulässig. Ein maßgeblicher Bezug der Tat zum ersuchenden Mitgliedstaat liegt nach Absatz 1 Satz 2 in der Regel vor, wenn Handlungs- und Erfolgsort vollständig oder in wesentlichen Teilen auf seinem Hoheitsgebiet liegen (Beispiel: Ein Deutscher ermordet in Frankreich einen französischen Staatsangehörigen) oder wenn es sich um eine schwere Tat mit typisch grenzüberschreitendem Charakter handelt, die teilweise auch auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurde (hier hat das Bundesverfassungsgericht selbst Fallgruppen etwa des internationalen Terrorismus und des organisierten Drogen- oder Menschenhandels vorgegeben: „Wer sich in solche verbrecherische Strukturen einbindet, kann sich auf den Schutz der Staatsangehörigkeit vor Auslieferung nicht in vollem Umfang berufen“ [BVerfG, 2 BvR 2236/04 vom 18.7.2005, Absatz-Nr. 86]).

Mischfälle

Kann weder ein maßgeblicher Inlands- noch ein maßgeblicher Auslandsbezug festgestellt werden (beispielsweise bandenmäßiger Serienbetrug mit sowohl Tätern als auch Opfern bzw. Zeugen in mehreren Mitgliedstaaten), ist die Auslieferung nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 nur zulässig, wenn die beiderseitige Strafbarkeit gegeben ist und bei konkreter Abwägung der widerstreitenden Interessen kein schutzwürdiges Vertrauen des Verfolgten in seine Nichtauslieferung besteht. Bei der Abwägung sind nach Absatz 2 Satz 3 und 4 insbesondere der Tatvorwurf, die praktischen Erfordernisse und Möglichkeiten einer effektiven Strafverfolgung und die grundrechtlich geschützten Interessen des Verfolgten unter Berücksichtigung der mit der Schaffung eines Europäischen Rechtsraums verbundenen Ziele zu gewichten und zueinander ins Verhältnis zu setzen. Liegt wegen der Tat, die Gegenstand des Auslieferungsersuchens ist, eine Entscheidung einer Staatsanwaltschaft oder eines Gerichts vor, ein deutsches strafrechtliches Verfahren einzustellen oder nicht einzuleiten, so sind diese Entscheidung und ihre Gründe in die Abwägung mit einzubeziehen; Entsprechendes gilt, wenn ein Gericht das Hauptverfahren eröffnet oder einen Strafbefehl erlassen hat.

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