Vater in Deutschland, Pflegevater in Portugal: Wer bekommt das Kindergeld?

Das Finanzgericht Hamburg hatte bezüglich eines in Portugal lebenden Kindes zu entscheiden, wem Kindergeld zusteht – dem leiblichen Vater oder dem Pflegevater, bei dem das Kind lebt. Der leibliche Vater ist portugiesischer Staatsangehöriger, lebt in Deutschland und befindet sich in einem Angestelltenverhältnis. Der Pflegevater lebt mit dem Kind in Portugal.

Für sein in Portugal lebendes Kind steht dem in Deutschland im Angestelltenverhältnis erwerbstätigen portugiesischen Staatsangehörigen Kindergeld zu, so nun das Finanzgericht Hamburg; der in Portugal lebende Pflegevater, der dort keinen Anspruch auf Familienleistungen hat, ist weder nach §§ 62 ff. EStG noch nach § 1 BKGG Kindergeldberechtigter und kann damit auch nicht vorrangig Berechtigter gemäß § 64 EStG sein. Das Finanzgericht Hamburg hat sich damit der Auffassung angeschlossen, dass mangels einer Anspruchskonkurrenz in Fällen wie diesen für die Anwendung der VO(EG) Nr. 883/2004 iVm. VO(EG) Nr. 987/2009 kein Raum ist.

Der Kläger, der als portugiesischer Staatsangehöriger freizügigkeitsberechtigt ist, gehört zum Kreis der Anspruchsberechtigten gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG, weil er im Inland seinen Wohnsitz hat. Zudem unterliegt er gemäß Art. 11 Abs. 1, Abs. 3 Buchstabe a) Grundverordnung den deutschen Rechtsvorschriften, weil er in Deutschland eine Beschäftigung ausübt.

Die leibliche Tochter des Klägers lebt in Portugal und damit in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, so dass sie zum Kreis der Kinder gehört, für die gem. § 63 Abs. 1 EStG Kindergeld zu gewähren ist.

Dem Kläger war daher – anders, als die Behörde meinte – nicht etwa deshalb kein Kindergeld zu zahlen, weil das Kindergeld nach § 64 Abs. 2 S. 1 EStG bzw. § 3 Abs. 2 S. 1 BKGG i. V. m. Art. 67,68 Grundverordnung und Art. 60 Abs. 1 Durchführungsverordnung unter Heranziehung der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Slanina, C-363/08 vorrangig dem in Portugal lebenden Pflegevater seiner Tochter zustünde.

Der Anwendungsbereich der Prioritätsregeln in Art. 67, 68 Grundverordnung und Art. 60 Abs. 1 Durchführungsverordnung ist im Streitfall von vornherein nicht eröffnet, weil keine Anspruchskonkurrenz zwischen Ansprüchen auf Familienleistungen für das Kind A in zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union besteht. Lediglich für den Fall einer solchen Anspruchskonkurrenz gelten die genannten Prioritätsregeln. Dies folgt bereits daraus, dass gem. Abs. 35 der Erwägungen, die der Grundverordnung zu Grunde liegen, ungerechtfertigte Doppelleistungen für den Fall des Zusammentreffens von Ansprüchen auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats mit Ansprüchen auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats der Familienangehörigen vermieden werden sollen. Dementsprechend regelt Art. 68 Grundverordnung, welche Ansprüche maßgeblich sind, wenn für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren sind. Eine solche Situation besteht im Streitfall jedoch nicht, da lediglich Ansprüche des Klägers auf Kindergeld gem. §§ 62, 63 EStG bestehen und kein Anspruch des Pflegevaters auf Familienleistungen in Portugal besteht.

Der Pflegevater indes hat keinen Anspruch aus § 1 Abs. 1 BKGG, weil er nicht zum Kreis der dort aufgeführten möglichen Anspruchsberechtigten gehört.

Auch aus Art. 67 Grundverordnung ergibt sich nichts anderes. Die Vorschrift besagt lediglich, dass eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats hat, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen. Diese Regelung betrifft allein die Tochter des Klägers, für die er nach dieser Regelung einen Kindergeldanspruch unabhängig davon hat, in welchem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Tochter wohnt. Dies steht im Einklang mit der Regelung in § 63 Abs. 1 S. 3 EStG. Für den Pflegevater der Tochter ist diese Regelung dagegen nicht anzuwenden, weil es nicht um Familienleistungen für ihn geht und er auch nicht zu den Familienangehörigen im Sinne von Art. 1 Buchst. i) Grundverordnung gehört.

Da von vornherein damit der Anwendungsbereich der Art. 67, 68 Grundverordnung nicht eröffnet ist, kommt es auf die nähere Ausgestaltung des Verfahrens in Art. 60 Abs. 1 Durchführungsverordnung nicht an. Insbesondere kann diese Vorschrift nicht dafür herangezogen werden, um neben dem Anspruch des Klägers aus §§ 62, 63 EStG einen weiteren inländischen Kindergeldanspruch des in Portugal lebenden Pflegevaters seiner Tochter nach dem BKGG zu konstruieren und so erst zu einer unter Anwendung von § 64 EStG zu lösenden Anspruchskonkurrenz zu kommen. Ein solcher Anspruch besteht auch nicht unter Heranziehung der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Slanina, C-363/08, die allein die Ansprüche von Personen betraf, die durch den Wegzug aus einem Mitgliedstaat keine Ansprüche verlieren dürfen; diese Situation ist mit der des in Portugal lebenden Pflegevaters der Tochter des Klägers nicht vergleichbar.

Nach Auffassung des Finanzgerichts Hamburg wird es dem Sinn und Zweck der Regelungen in der Grundverordnung und der Durchführungsverordnung, bei einem Zusammentreffen von Ansprüchen auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zur Vermeidung ungerechtfertigter Doppelleistungen festzulegen, welche Ansprüche vorrangig bestehen, nicht gerecht, wenn in einer Konstellation, in der lediglich ein Anspruch nach den Rechtsvorschriften Deutschlands besteht, ein weiterer Anspruch eines in einem anderen Mitgliedstaat lebenden möglichen Berechtigten in Deutschland konstruiert wird. Das Gericht folgt damit der Rechtsauffassung, die auch das Finanzgericht München 1 sowie das Niedersächsische Finanzgericht 2 und das Finanzgericht Rheinland-Pfalz3).

Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 31.01.2012 – 1 K 204/11

 

  1. FG München, Urteile vom 27.10.2011 – 5 K 1075/11, 5 K 1145/11, 5 K 2614/11 und 5 K 3245/11 []
  2. Niedersächsisches FG, Urteil vom 08.12.2011 – 16 K 291/11 []
  3. FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.03.2011 – 2 K 2248/10; a. A. FG Bremen, Urteil vom 10.11.2011 – 3 K 26/11 (1 []