Was ist ein Camcorder? Das weiß doch jedes Kind. Aber nur ein Gericht kann es so schön verklausulieren:
Ein Camcorder ist nur dann in die Unterposition 8525 40 99 KN im Sinne von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnungen (EG) Nr. 2263/2000 der Kommission vom 13. Oktober 2000, Nr. 2031/2001 der Kommission vom 6. August 2001 und Nr. 1789/2003 der Kommission vom 11. September 2003 geänderten Fassung einzureihen, wenn zum Zeitpunkt der Zollabfertigung die Funktion zur Aufzeichnung von Bild‑ und Tonaufnahmen aus anderen Quellen als mittels der eingebauten Kamera oder des eingebauten Mikrofons freigeschaltet ist oder wenn diese Funktion, selbst wenn der Hersteller nicht auf dieses Merkmal hinweisen wollte, nachträglich von einem Benutzer ohne besondere Kenntnisse leicht freigeschaltet werden kann, ohne dass der Camcorder materiell verändert wird. Im Fall einer nachträglichen Freischaltung ist außerdem erforderlich, dass der Camcorder zum einen nach der Freischaltung in der gleichen Weise funktioniert wie ein Camcorder, bei dem die Funktion zur Aufzeichnung von Bild‑ und Tonaufnahmen aus anderen Quellen als mittels der eingebauten Kamera oder des eingebauten Mikrofons zum Zeitpunkt der Zollabfertigung aktiv ist, und dass er zum anderen autonom funktioniert. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen muss zum Zeitpunkt der Zollabfertigung geprüft werden können. Es ist Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Sind sie nicht erfüllt, ist dieser Camcorder in die Unterposition 8525 40 91 KN einzureihen.
Für diese tiefsinnige Definition bedurfte es insgesamt acht Richter – drei beim Finanzgericht Düsseldorf und fünf beim Europäischen Gerichtshof -, eines Generalanwalts beim EuGH, der Juristen zweier Regierungen – der deutschen und der französichen -, der Juristen der EU-Kommission und mindestens zweier Anwälte der beiden Kläger. Dafür kann sich das Ergebnis doch sehen lassen, oder?
Worum es ging? Ach ja: Medion und Canon führten digitale Video‑Camcorder nach Deutschland ein, die zur digitalen Datenübertragung mit einer Firewire‑Schnittstelle ausgestattet waren. Die Camcorder verfügen über ein Menü bestehend aus einer Reihe von Tasten und einem kleinen LCD‑Farbmonitor und der Bediener hat die Wahl, ob er die von ihm gemachten Videoaufnahmen auf dem LCD‑Farbmonitor abspielt oder vom Camcorder mittels entsprechender Kabel auf andere Geräte, z. B. Fernseher, überträgt (sogenanntes ?dv‑out?), die eine größere und sehr viel bessere Bildwiedergabe ermöglichen.
Einige Camcorder konnten Daten von anderen Geräten aufzeichnen, wobei die Camcorder dann als Videorecorder dienten, um die digitalisierten Signale, z. B. eine Videoaufnahme, von einem Computer aufzuzeichnen. Auf die ?dv‑in?‑Fähigkeit dieser Geräte hatten Medion und Canon bei der Einfuhr der fraglichen Camcorder nicht hingewiesen. Und deshalb meinte das Hauptzollamt Krefeld, das wären keine Camcorder. Logisch, nicht?
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 27. September 2007 – verbundene Rechtssachen C‑208/06 und C‑209/06