Der unter anderem für das Handelsvertreterrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat seine Rechtsprechung zum Anspruch des Tankstellenhalters auf Handelsvertreterausgleich gemäß § 89b HGB nach Beendigung des Vertrags mit dem Mineralölunternehmen fortgeführt. Für die Bemessung des Ausgleichsanspruchs kommt es, so der BGH, maßgeblich auf die Höhe des Stammkundenanteils der Tankstelle an. Unter anderem war darüber zu entscheiden, nach wie vielen Tankvorgängen ein Kunde als Stammkunde anzusehen ist und ob der Anteil der Stammkunden auf der Grundlage repräsentativer Umfragen oder auf der Grundlage der elektronisch erfassten Zahlungen mit Kredit- oder EC-Karten zu ermitteln ist. Darüber hinaus war zu entscheiden, ob eine Kürzung des Ausgleichsanspruchs aus Billigkeitsgründen gerechtfertigt ist, wenn der niedrige Preis des Kraftstoffs eine die Verkaufsbemühungen des Tankstellenhalters fördernde „Sogwirkung“ auf die Kunden ausübt.
Der heutigen Entscheidung lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger hatte von Anfang 1992 bis Ende 2002 eine Tankstelle der Beklagten gepachtet und dort als Handelsvertreter für sie Kraftstoff und Schmierstoffe vertrieben. Nach Beendigung des Vertrags hat der Kläger einen Ausgleichsanspruch in Höhe einer Restforderung von 48.927,04 ?. geltend gemacht. Er behauptet, dass er 90% seines Umsatzes mit Stammkunden erzielt habe und hat sich dabei auf eine Repräsentativbefragung des Instituts für Demoskopie Allensbach gestützt. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und sich darauf berufen, dass die von ihr elektronisch erfassten Kartenumsätze der Kunden als Schätzungsgrundlage vorzuziehen seien. Anhand der von ihr vorgelegten Daten ist die Beklagte von einem Stammkundenanteil von rund 38% ausgegangen.
Das Berufungsgericht hat dem Kläger 39.917,77 ? zugesprochen. Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision beider Parteien hat der Bundesgerichtshof das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Kläger, den als Tankstellenhalter die Darlegungs- und Beweislast für den von ihm geltend gemachten Ausgleichsanspruch trifft, sich grundsätzlich auf die von ihm vorgelegte repräsentative Umfrage des Allensbach-Instituts aus dem Jahr 2002 stützen durfte. Ihm standen keine Daten zur Verfügung, die eine individuellere Schätzung des Umsatzanteils der Stammkunden an seiner früheren Tankstelle ermöglicht hätten. Das Mineralölunternehmen ist jedoch berechtigt, einer solchen, auf repräsentativen Umfragen beruhenden Schätzung des Tankstellenhalters unter Hinweis auf konkret erfasste Zahlungsvorgänge über Einzelgeschäfte entgegenzutreten, weil diese eine genauere Schätzung des Stammkundenanteils einer bestimmten Tankstelle ermöglichen. Allerdings durfte das Berufungsgericht die vom beklagten Mineralunternehmen vorgelegten Aufzeichnungen und Auswertungen hier nicht zugrunde legen, ohne zuvor deren – vom Kläger bestrittene – Richtigkeit und Vollständigkeit durch einen Sachverständigen prüfen zu lassen.
Der Bundesgerichtshof hat weiter entschieden, dass als Stammkunden (Mehrfachkunden) eines Tankstellenhalters im Allgemeinen die Kunden angesehen werden können, die mindestens vier Mal im Jahr ? also durchschnittlich wenigstens ein Mal pro Quartal ? bei ihm getankt haben. Beim vierten Tanken innerhalb eines Jahres ist in der Regel die Annahme berechtigt, dass der Kunde die Tankstelle nicht nur zufällig, sondern gezielt zum wiederholten Mal aufgesucht hat und dementsprechend eine Bindung des Kunden an die Tankstelle besteht.
Der Bundesgerichtshof hat schließlich entschieden, dass eine Kürzung des Ausgleichsanspruchs aus Billigkeitsgründen gerechtfertigt sein kann, wenn die Verkaufsbemühungen des Tankstellenhalters in nicht unerheblichem Maße durch eine von dem niedrigen Preis des Kraftstoffs ausgehende „Sogwirkung“ gefördert werden.
Das Oberlandesgericht wird – nach entsprechender weiterer Sachaufklärung – nunmehr den Stammkundenumsatzanteil erneut schätzen und nochmals einen Billigkeitsabschlag unter dem Gesichtspunkt einer „Sogwirkung“ des Preises zu erwägen haben.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. September 2007 – VIII ZR 194/06