In welchen Fällen darf ein Leistungsempfänger den Ausgleich einer Rechnung verweigern (ein Zurückbehaltungsrecht an der Rechnungssumme geltend machen), wenn er die Auffassung vertritt, die ihm erteilte Rechnung sei – insbesondere im Hinblick auf die Frage des Ausweises von Umsatzsteuer – nicht ordnungsgemäß?
Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, dass, ist ernstlich zweifelhaft, ob die Leistung der Umsatzsteuer unterliegt, ein Leistungsempfänger die Erteilung einer Rechnung nach § 14 UStG mit gesondert ausgewiesener Steuer nur verlangen kann, wenn die zuständige Finanzbehörde den Vorgang bestandskräftig der Umsatzsteuer unterworfen hat.
In dem entschiedenen Fall schloss die Klägerin, die als Handelsmaklerin unter anderem betriebliche und private Versicherungen vermittelt, mit dem Beklagten am 21.03.2011 einen als Handelsvertretervertrag bezeichneten Vertrag. Die Klägerin verpflichtete sich unter anderem dazu, den Beklagten bei dessen Vermittlungstätigkeit zu unterstützen und „zur Erfüllung seiner Tätigkeiten kostenpflichtiges Adressenmaterial (Leads) zur Verfügung“ zu stellen.
Die Parteien schlossen am 21.03.2011 ferner eine „ZusatzVereinbarung Leads“. Nach § 1 Abs. 2 der genannten Zusatzvereinbarung stellt die Klägerin dem Beklagten zur Erfüllung seiner Tätigkeiten qualifiziertes und teilweise terminiertes Adressenmaterial (Leads) zur Verfügung. Bei den durch die Leads bezeichneten Interessenten sollte der Beklagte Beratungstermine wahrnehmen und Versicherungsverträge für die Klägerin vermitteln. Die Parteien vereinbarten in § 2 der genannten Zusatzvereinbarung, dass die Leads dem Beklagten gegen Entgelt zur Verfügung gestellt werden. Für einen Lead zu einer privaten Krankenvollversicherung sollten 160 € von dem Beklagten an die Klägerin gezahlt werden.
Die Klägerin übermittelte dem Beklagten verschiedene Leads für eine private Krankenvollversicherung. Mit Schreiben vom 12.05. 2011 stellte sie dem Beklagten für acht Leads einen Betrag von 1.280 € in Rechnung. Eine Zahlung des Beklagten erfolgte nicht.
Mit der Klage macht die Klägerin den genannten Zahlungsanspruch in Höhe von 1.280 € zuzüglich Zinsen geltend.
Das Amtsgericht Oranienburg hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt1. Die Berufung des Beklagten zum Landgericht Neuruppin ist erfolglos geblieben2.
Das Landgericht Neuruppin hat allerdings die Revision zugelassen, soweit sie sich auf die dem Beklagten versagte Geltendmachung des Rechts bezieht, die Zahlung bis zur Erteilung einer Rechnung gemäß § 14 UStG zurückzuhalten.
Der Bundesgerichtshof hat die vorinstanzlichen Entscheidungen bestätigt.
Der Beklagte hat nicht das Recht, die Zahlung bis zur Erteilung einer Rechnung gemäß § 14 UStG mit gesondertem Steuerausweis zurückzuhalten.
Ein Unternehmer, der eine Lieferung oder sonstige Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG und dabei einen Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausführt, ist grundsätzlich verpflichtet, eine – den Anforderungen des Umsatzsteuergesetzes entsprechende – Rechnung auszustellen, vgl. § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 UStG. Eine solche Verpflichtung zur Ausstellung einer Rechnung besteht gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 UStG nicht, wenn der Umsatz nach § 4 Nr. 8 bis 28 UStG steuerfrei ist.
Besteht ein Anspruch auf Erteilung einer Rechnung nach § 14 UStG, kann der Leistungsempfänger das von ihm geschuldete Entgelt grundsätzlich nach § 273 Abs. 1 BGB zurückhalten, bis der Leistende ihm die Rechnung erteilt3. Einer solchen bestandskräftigen Unterwerfung kommt es im Ergebnis gleich, wenn einer Klage des Leistungsempfängers gegen das für die Umsatzsteuerfestsetzung gegenüber dem Leistenden zuständige Finanzamt auf Feststellung, dass der betreffende Umsatz steuerbar und steuerpflichtig ist, durch rechtskräftige Entscheidung stattgegeben wird. Soweit der Leistungsempfänger danach die Erteilung einer Rechnung nach § 14 UStG mit gesondert ausgewiesener Steuer nicht verlangen kann, steht ihm ein diesbezügliches Zurückbehaltungsrecht nicht zu.
An der genannten Rechtsprechung4 ist jedenfalls für den – hier gegebenen – Fall, dass ernstlich zweifelhaft ist, ob eine Steuerbefreiung eingreift, auch unter Berücksichtigung der Regelungen zur Berichtigung bei zu Unrecht erfolgtem Steuerausweis (vgl. § 14c UStG) festzuhalten. Bei einer derartigen ernstlich zweifelhaften Steuerrechtslage ist es dem Leistenden regelmäßig nicht zuzumuten, eine Rechnung nach § 14 UStG mit gesondertem Steuerausweis auszustellen, die unter Umständen nach der Beurteilung der zuständigen Finanzbehörde zu Unrecht einen Steuerausweis enthält. Der Leistende wäre damit dem Risiko ausgesetzt, dass allein durch einen solchen Steuerausweis eine – ansonsten nicht bestehende – Steuerschuld ausgelöst wird (vgl. § 14c UStG). Die für den Leistenden grundsätzlich eröffneten Korrekturmöglichkeiten gemäß § 14c UStG kompensieren die mit diesem Risiko verbundene Belastung nicht hinreichend. Es kann in diesem Zusammenhang offenbleiben, ob und inwieweit derjenige, der von einem Zivilgericht rechtskräftig zur Erteilung einer Rechnung nach § 14 UStG mit gesondertem Steuerausweis verurteilt worden ist, zu einer Berichtigung der daraufhin erteilten Rechnung nach Maßgabe von § 14c UStG noch befugt wäre. Die mit dem genannten Risiko verbundene Belastung wird jedenfalls wegen der Komplexität der mit einer solchen Berichtigung verbundenen Verfahren nicht hinreichend kompensiert. Im Übrigen ist ein Leistungsempfänger, der einen Vorsteuerabzug ausüben möchte und hierfür eine nach § 14 UStG ausgestellte Rechnung benötigt (vgl. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 UStG), in derartigen Fällen nicht rechtlos gestellt. Denn der Bundesfinanzhof5 erachtet bei ernstlich zweifelhafter Steuerrechtslage eine Klage des Leistungsempfängers gegen das für die Umsatzsteuerfestsetzung gegenüber dem Leistenden zuständige Finanzamt auf Feststellung, dass ein bestimmter Umsatz steuerbar und steuerpflichtig ist, für zulässig.
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe steht dem Beklagten das geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht nicht zu.
Das Landgericht Neuruppin hat unangefochten festgestellt, dass der streitige Vorgang nicht durch die zuständige Finanzbehörde bestandskräftig der Umsatzsteuer unterworfen ist. Der Beklagte hat auch nicht geltend gemacht, dass er Klage vor den Finanzgerichten auf Feststellung, dass der betreffende Umsatz steuerbar und steuerpflichtig ist, erhoben hätte.
Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht im Übrigen angenommen, dass ernstlich zweifelhaft ist, ob im Streitfall die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 11 UStG eingreift. Nach dieser Vorschrift sind unter anderem die Umsätze aus der Tätigkeit als Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler steuerfrei. § 4 Nr. 11 UStG dient der Umsetzung von Art. 135 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28.11.2006 und ist konform mit dieser Richtlinie auszulegen. Nach dieser Richtlinienbestimmung befreien die Mitgliedstaaten Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze einschließlich der dazu gehörigen Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht werden, von der Steuer. Die von Art. 135 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG verwendeten Begriffe sind unionsrechtlich-autonom auszulegen, um eine in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems zu verhindern6.
Nach dieser Rechtsprechung ist es für die steuerfreie Versicherungsvermittlungstätigkeit wesentlich, Kunden zu suchen und diese mit dem Versicherer zusammenzubringen7. Die Vermittlung kann in einer Nachweis-, einer Kontaktaufnahme- oder in einer Verhandlungstätigkeit bestehen, wobei sich die Tätigkeit auf ein einzelnes Geschäft, das vermittelt werden soll, beziehen muss8. Nicht steuerfrei sind hingegen Leistungen, die keinen spezifischen und wesentlichen Bezug zu einzelnen Vermittlungsgeschäften aufweisen8.
Der Umstand, dass ein Versicherungsmakler oder -vertreter zu den Parteien des Versicherungsvertrags, zu dessen Abschluss er beiträgt, keine unmittelbare Verbindung, sondern nur eine mittelbare Verbindung über einen anderen Steuerpflichtigen unterhält, der selbst in unmittelbarer Verbindung zu einer dieser Parteien steht und mit dem der Versicherungsmakler oder -vertreter vertraglich verbunden ist, schließt es nicht aus, dass die von dem Letztgenannten erbrachte Leistung nach § 4 Nr. 11 UStG steuerfrei ist. Es ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass die Tätigkeit eines Versicherungsmaklers und -vertreters sich in verschiedene Dienstleistungen aufteilen lässt, die als solche unter den Begriff „zu den Versicherungs- und Rückversicherungsumsätzen gehörige Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht werden“ fallen. Die Reichweite des § 4 Nr. 11 UStG bei arbeitsteilig organisiertem Vertrieb ist nicht abschließend geklärt9.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.06.2014 – VII ZR 247/13
- AG Oranienburg, Urteil vom 03.05.2012 – 22 C 84/11 [↩]
- LG Neuruppin, Urteil vom 24.07.2013 – 4 S 101/12 [↩]
- BGH, Urteil vom 27.10.2011 – I ZR 125/10; Beschluss vom 08.03.2005 – VIII ZB 3/04. Ist indes ernstlich zweifelhaft, ob die Leistung der Umsatzsteuer unterliegt, kann der Leistungsempfänger die Erteilung einer Rechnung nach § 14 UStG mit gesondert ausgewiesener Steuer nur verlangen, wenn die zuständige Finanzbehörde den Vorgang bestandskräftig der Umsatzsteuer unterworfen hat ((BGH, Urteile vom 10.11.1988 – VII ZR 137/87; vom 24.02.1988 – VIII ZR 64/87; vom 14.01.1980 – II ZR 76/79 [↩]
- BGH, Urteile vom 10.11.1988 – VII ZR 137/87; vom 24.02.1988 – VIII ZR 64/87; vom 14.01.1980 – II ZR 76/79 [↩]
- BFH, 10.07.1997 – V R 94/96 [↩]
- EuGH, Urteil vom 03.03.2005 – C-472/03, Arthur Andersen [↩]
- EuGH, Urteil vom 03.03.2005 – C-472/03, Arthur Andersen; BFH, Urteile vom 28.05.2009 – V R 7/08; vom 06.09.2007 – V R 50/05 [↩]
- BFH, Urteil vom 28.05.2009 – V R 7/08 [↩] [↩]
- BFH, Urteil vom 06.09.2007 – V R 50/05 [↩]