… mitnichten!
Wird ein Hund (oder ein anderes Tier) verletzt, streitet man sich häufig nicht nur darum, wer die Behandlungskosten zu tragen hat, sondern auch darum, ob die aufgewandten Behandlungskosten im Hinblick auf den „Wert“ des Tieres überhaupt angemessen waren.
Wir hatten hier schon einmal über eine Entscheidung des Amtsgerichts Düsseldorf berichtet, welches zu dem Ergebnis gekommen war, dass die aus der Heilbehandlung eines verletzten Tieres entstandenen Aufwendungen nicht bereits dann unverhältnismäßig sind, wenn sie deren Wert erheblich übersteigen. Anders als bei Sachen – so damals das Amtsgericht Düsseldorf – ist insbesondere nicht die Verhältnismäßigkeitsschwelle von 130 % anzusetzen, sondern eine – deutlich – höhere. Die Verhältnismäßigkeitsschwelle liege bei einem Vielfachen des Marktwertes. Hierbei sei auch das Affektionsinteresse der Klägerin zu berücksichtigen1.
Nun hat sich zu diesem Thema das Oberlandesgericht Celle recht deutlich geäussert. In dem entschiedenen Fall ging es zwar um ein Pferd, jedoch sind die Erwägungen auf Hunde übertragbar.
Das Oberlandesgericht Celle hat ausgeführt, dass ein Tier wirtschaftlich nur wenig wert sein mag. Wird es verletzt, kann es aber sein, dass der Schädiger Behandlungskosten zu ersetzen hat, die den Wert des Tieres um ein Vielfaches übersteigen.
In dem konkreten Fall hatte der damals 24 Jahre alte Wallach des Klägers im Sommer 2019 einen wirtschaftlichen Wert von etwa 300 € – ein Sachverständiger beschrieb ihn als „Weidekameraden“, der als „Gesellschafter“ für andere Pferde diene.
Dieser Wallach floh damals vor einem Hund, der auf die Pferdekoppel gelaufen war und das Pferd anschließend bis in den nächsten Ort verfolgte. Dabei stürzte das Pferd mehrfach und verletzte sich schwer. Der Kläger ließ es für mehr als 14.000 € in einer Tierklinik operieren. Bereits das Landgericht Verden hatte die Halterin des Hundes verurteilt, diese Behandlungskosten zu tragen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Celle jetzt zurückgewiesen.
Das Oberlandesgericht Celle entschied zum Haftungsgrund, dass die Hundehalterin den gesamten Schaden ersetzen muss, obwohl der Schaden auch auf den eigenen Fluchtinstinkt des Pferdes zurückzuführen war. Das Pferd hatte nicht etwa bloß aufgrund eines kurzen Erschreckens gescheut und war dann weggelaufen. Vielmehr wurde es von dem Hund über die Koppel, über den Weidezaun und weiter auf der Straße bis in die nächste Ortschaft „auf das Äußerste“ getrieben. Diese von dem Hund ausgehende Gefahr überwog den eigenen Verursachungsbeitrag durch das Pferd deutlich.
Weiter entschied das Oberlandesgericht Celle, dass die Behandlungskosten vollständig zu ersetzen sind, obwohl sie den wirtschaftlichen Wert des Tieres um das 49-fache überstiegen. Aufgrund der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf und schmerzempfindliches Lebewesen verbietet sich eine streng wirtschaftliche Betrachtungsweise. Vielmehr sind sämtliche Umstände abzuwägen, unter anderem die Erfolgsaussichten der Behandlung, das Alter des Tieres und die Beziehung des Halters zu ihm. Hier war der Wallach das erste Pferd, das der Kläger erworben hatte und zu dem er von Anfang an eine besonders enge Bindung hat. Der Kläger hat das Pferd kurz nach dessen Geburt gekauft und auf ihm das Reiten erlernt. Auch nach seiner aktiven Reiterzeit hat er das Pferd weiter behalten und als Beistellpferd genutzt. Das Pferd war vor dem Unfall in einem sehr guten Zustand.
Hier aber nun die Entscheidung im Einzelnen:
Das Pferd „W.“ hat sich durch ein Verhalten des Hundes der Beklagten – hier das Treiben des Pferdes über die Koppel und anschließend bis in die nächste Ortschaft – schwer verletzt. Dies beruht auf der typischen Tiergefahr des Hundes, die sich hier in dem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbständigen Verhalten des Hundes aufgrund seines natürlichen Jagdtriebes manifestiert hat. All dies ist im Berufungsverfahren nicht (mehr) streitig.
Dem Kläger ist infolgedessen – so das Oberlandesgericht Celle – ein kausaler Schaden entstanden, der sich – der Höhe nach ebenfalls unstreitig – aus Heilbehandlungskosten in Höhe von 422,41 € für eine nottierärztliche Behandlung und aus Heilbehandlungskosten in Höhe von 14.379,15 € für eine stationäre Heilbehandlung nebst mehrfachen Operationen und – im Berufungsverfahren nicht streitigen – Fahrtkosten für die Fahrt des Klägers mit dem verletzten Pferd in die Klinik in Höhe von insgesamt 21,00 € zusammensetzt.
Entgegen der Auffassung der Berufung muss sich der Kläger nach Auffassung des Oberlandesgerichts Celle im Ergebnis die von dem Pferd „W.“ ausgehende Tiergefahr nicht analog § 254 Abs. 1 BGB, § 833 S. 1 BGB anrechnen lassen.
Diese Vorschrift ist nicht nur dann anzuwenden, wenn ein fremdes und ein eigenes Tier zusammen einen Schaden an einem anderen Rechtsgut verursacht haben, sondern auch dann, wenn Tiere verschiedener Halter sich gegenseitig verletzen oder wenn – wie hier – eines der beiden Tiere verletzt wird und dabei die Tiergefahr des verletzten Tiers als mitverursachender Umstand mitgewirkt hat2.
Eine anspruchsmindernde Berücksichtigung der vom verletzten Tier ausgehenden Tiergefahr kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn diese bei der Schadensentstehung adäquat mitursächlich geworden ist3.
Eine typische Tiergefahr äußert sich nach ständiger Rechtsprechung in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbständigen Verhalten4. An der Verwirklichung der Tiergefahr fehlt es insbesondere dann, wenn keinerlei eigene Energie des Tiers an dem Geschehen beteiligt ist5 oder wenn das Tier lediglich der Leitung und dem Willen eines Menschen folgt6. Demgegenüber können bereits von einem Tier ausgehende und auf ein anderes Tier einwirkende Reize eine für einen Schaden mitursächliche Tiergefahr darstellen4.
Vorliegend ist davon auszugehen, dass sich die von dem klägerischen Pferd ausgehende Tiergefahr verwirklicht hat. Bei einem Pferd handelt es sich um ein Fluchttier. Die Verletzungen des Pferdes „W.“ beruhen nicht auf etwaigen Hundebissen o. ä., sondern allein auf dem (durch den Hund der Beklagten verursachten) Fluchtverhalten des Pferdes: Dieses ist – entsprechend seiner Natur als Fluchttier – vor dem treibenden Hund weggelaufen und im Rahmen seines Fluchtinstinkts über den Weidenzaun gesprungen und weiter weggelaufen, wobei es mehrfach gestürzt ist und sich dabei verletzt hat.
Ist für die Entstehung eines Schadens auch die Tiergefahr des eigenen Tiers des Geschädigten mitursächlich, so muss sich der Geschädigte dies entsprechend §§ 254 Abs. 1<, 833 Satz 1 BGB grundsätzlich mindernd auf seinen Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB> anrechnen lassen. Für die entsprechend § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge der beiden Tierhalter kommt es sodann darauf an, mit welchem Gewicht konkret sich das in den Tieren jeweils verkörperte Gefahrenpotential in der Schädigung manifestiert hat7.
Wie bereits ausgeführt, würde es an der Verwirklichung der Tiergefahr des Pferdes „W.“ u. a. dann fehlen, wenn keinerlei eigene Energie des Tiers an dem Geschehen beteiligt war5. Davon kann hier im Ergebnis nicht ausgegangen werden, so das Oberlandesgercht Celle. Denn das Pferd „W.“ war bei der Schadensentstehung nicht lediglich rein passiv beteiligt, wie dies z. B. bei einem an der Leine geführten Hund der Fall wäre, der von einem freilaufenden Hund unvermittelt gebissen wird. Zwar hat sich das klägerische Pferd zunächst vollständig neutral verhalten, da es sich lediglich (gemeinsam mit einem anderen Pferd) auf der Pferdekoppel des Klägers aufgehalten hatte. Die Verletzungen des Pferdes beruhen jedoch – wie ausgeführt – nicht auf etwaigen Hundebissen, sondern darauf, dass sich das Pferd auf seiner Flucht vor dem Hund durch mehrfache Stürze verletzt hat. In dem auf dem Fluchtinstinkt des Pferdes beruhenden Davonlaufen hat sich dann aber die typische Tiergefahr eines Pferdes als Fluchttier adäquat mitursächlich ausgewirkt und ist daher zumindest grundsätzlich auch zu berücksichtigen8.
Bei der dann nach § 254 BGB gebotenen Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile überwiegt nach Auffassung des Oberlandesgerichts Celle die von dem Hund der Beklagten ausgehende Tiergefahr gegenüber der dem Kläger zuzurechnenden Tiergefahr seines Pferdes „W.“ derart erheblich, dass die Tiergefahr des Pferdes hinter der Tiergefahr des Hundes zurücktritt und zu einem Entfallen der Mithaftung des verletzten Pferdes führt9.
Das Pferd „W.“ hat nicht bloß aufgrund eines Erschreckens gescheut und ist dann weggelaufen. Vielmehr wurde das Pferd von dem Hund der Beklagten zunächst über die Koppel und sodann – nachdem es über den Weidezaun gesprungen war – weiter auf der Straße bis in die nächste Ortschaft „auf das Äußerste“ getrieben. Die Hetzjagd dauerte dabei auch über einen längeren Zeitraum und über eine längere Strecke an, da das Pferd unstreitig bis in den nächsten Ort getrieben wurde, wo es dann eingefangen werden konnte, nachdem zuvor der Hund der Beklagten eingefangen worden war.
Zwar ist es für ein Pferd typisch, dass es als Fluchttier vor Gefahren instinktiv wegläuft. Dieser Fluchtinstinkt hält aber in der Regel nur kurz – nämlich für die Dauer der wahrgenommenen Gefahr – an. Hier war das Pferd aber über eine längere Zeit und auf längerer Strecke allein aufgrund des treibenden Verhaltens des Hundes der Beklagten in Panik versetzt worden, was die entsprechende Flucht nicht nur veranlasst, sondern diese auch über einen längeren Zeitraum auf längerer Strecke aufrechterhalten und damit die Gefahr für das Pferd erheblich erhöht hat.
Da für den Eintritt des Schadensereignisses somit der Verursachungsbeitrag des Hundes der Beklagten als Auslöser diente und dessen Schwere durch das fortgesetzte Treiben über einen längeren Zeitraum geprägt wurde, überwiegt damit die von dem Hund ausgehende Tiergefahr im konkreten Fall derart erheblich gegenüber der dem klägerischen Pferd innewohnenden Tiergefahr als Fluchttier, dass eine Mithaftung des Klägers entfällt.
Der Schaden ist in Höhe von 14.822,56 €, nämlich bezüglich der dem Kläger unstreitig entstandenen Tierarztbehandlungskosten in Höhe von insgesamt 14.801,56 € sowie bezüglich der Fahrtkosten in Höhe von 21,00 €, ersatzfähig.
Die gegen die Höhe der Tierarztbehandlungskosten gerichteten Berufungsangriffe bleiben nach dem Ergebnis der im Berufungsrechtszug durchgeführten Beweisaufnahme letztlich ohne Erfolg.
Grundsätzlich sind bei Beschädigung einer Sache gemäß § 249 Abs. 1 die erforderlichen Kosten zur Wiederherstellung der Sache in Geld zu ersetzen. Vorliegend handelt es sich jedoch nicht um eine beschädigte Sache, sondern um ein verletztes Tier, auf welches gemäß § 90a S. 3 BGB die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. Im Rahmen des Schadensersatzrechts gilt für Kosten der Heilbehandlung von Tieren ergänzend § 251 Abs. 2 S. 2 BGB
Der Bundesgerichtshof hat hierzu im Jahr 201510 ausgeführt:
„Im Fall der Verletzung eines Tiers bestimmt § 251 Abs. 2 Satz 2 BGB angesichts der herausgehobenen Anerkennung des Tierschutzes durch die Rechtsordnung (Art. 20a GG, § 1 TierSchG), dass die aus der Heilbehandlung des Tiers entstandenen Aufwendungen nicht bereits dann unverhältnismäßig sind, wenn sie dessen Wert erheblich übersteigen. Ausgehend von der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf und schmerzempfindliches Lebewesen verbietet diese Vorschrift bei der Schadensbemessung eine streng wirtschaftliche Betrachtungsweise11. Das bedeutet zwar nicht, dass eine Verpflichtung zum Schadensersatz in unbegrenzter Höhe besteht12. Unter der Voraussetzung, dass eine Heilbehandlung tatsächlich durchgeführt wurde13, verlangt § 251 Abs. 2 Satz 2 BGB aber, dass dem Interesse des Schädigers, nicht mit den Behandlungskosten belastet zu werden, bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur der Wert des Tiers gegenübergestellt wird, sondern auch das aus der Verantwortung für das Tier folgende immaterielle Interesse an der Wiederherstellung seiner Gesundheit und seiner körperlichen Integrität14. So können bei Tieren mit einem geringen materiellen Wert Behandlungskosten auch dann ersatzfähig sein, wenn sie ein Vielfaches dieses Wertes ausmachen15. Immer bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls16. Nach Auffassung des Gesetzgebers kommt es für die Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze auf das Maß des Verschuldens des Schädigers, das individuelle Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem verletzten Tier sowie darauf an, ob die aufgewendeten Heilbehandlungskosten aus tiermedizinischer Sicht vertretbar gewesen sind (vgl. BT-Drucks. 11/5463 S. 7). Diese Aufzählung schließt weitere dem Normziel dienende Kriterien im Einzelfall nicht aus.“
So kommen, so das Oberlandesgericht Celle weiter, als weitere Kriterien die Erfolgsaussichten der Behandlung, das Alter des Tiers und der vor der Pflichtverletzung vorliegende Gesundheitszustand des Tiers17 in Betracht. Im Zusammenhang mit dem immateriellen Interesses des Halters des verletzten Tiers spielt auch eine Rolle, wie lange das Tier bereits in der Familie lebt18. Teilweise wird auch berücksichtigt, was der Eigentümer im Sinne eines verständigen Tierhalters in der konkreten Lage ohne die Fremdschädigung für sein Tier aufgewendet hätte19, obwohl der Gesetzgeber ausdrücklich davon abgesehen hat, eine allgemeine Haftungsgrenze, etwa wie sie das österreichische Recht in § 1332a ABGB (der auf die Kosten abstellt, die auch ein „verständiger Tierhalter in der Lage des Geschädigten“ aufgewendet hätte) vorsieht, aufzunehmen20.
Keine Berücksichtigung sollen demgegenüber die Vermögensverhältnisse des Tierhalters finden21 und ob der Schädiger haftpflichtversichert ist. Ob das Maß des Verschuldens des Schädigers zu berücksichtigen ist, ist streitig.
Dabei hat das Oberlandesgericht Celle – ebenso wie das Landgericht – nicht verkannt, dass das Tier zum Zeitpunkt des Schadensereignisses bereits 24 Jahre alt war und wirtschaftlich nur einen geringen Wert, insbesondere im Verhältnis zu einem Reit-, Turnier- oder Zuchtpferd, hatte. Unstreitig lag der wirtschaftliche Wert von „W.“ bei 300,00 €.
Allerdings war das besondere Affektionsinteresse des Klägers an dem in seinem Eigentum stehenden Pferd „W.“ zu berücksichtigen. Nach dem Vortrag des Klägers und dem Ergebnis der Beweisaufnahme handelt es sich bei dem Pferd „W.“ um das erste vom Kläger erworbene Pferd, zu welchem er von Anfang an und immer noch eine besonders enge Bindung hat. Der Kläger hat das Pferd kurz nach dessen Geburt von dem Zeugen B. käuflich erworben und unmittelbar nach dem Absetzen von der Mutterstute, d. h. ca. 6 Monate nach der Geburt übernommen. Zwar hat der Kläger das Pferd „W.“ nicht selbst angeritten bzw. ausgebildet, sondern dies dem Zeugen C. bzw. dessen Söhnen und Mitarbeitern überlassen. Allerdings hat er auf dem Pferd „W.“ das Reiten erlernt und ist auf diesem auch mehrere Jahre in seiner Freizeit geritten. Auch als das Pferd vor ca. 20 Jahren einen Unfall hatte, hat der Kläger die erforderliche Heilbehandlung veranlasst. Auch nach seiner aktiven Reiterzeit hat der Kläger das Pferd weiter behalten und als Beistellpferd genutzt. Schließlich ist das Pferd trotz seines zum Schadenszeitpunkt hohen Alters von 24 Jahren und auch noch zum Zeitpunkt der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat noch in seinem Eigentum und Besitz gewesen und von dem Kläger regelmäßig – quasi als Familienangehöriger – versorgt worden. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus den Angaben des informatorisch angehörten Klägers, die von den Zeugen B. und C. zum Anschaffungszeitpunkt und zur Ausbildung des Pferdes sowie von der Zeugin F. zum Verhältnis des Klägers zum Pferd „W.“ bestätigt worden sind. So hat die Zeugin F. u. a. angegeben, dass der Kläger das Pferd „W.“ bereits als Fohlen bekommen habe und sich immer sehr um das Tier gekümmert habe und dieses auch im Reitunterricht oder in der Freizeit geritten habe. Der Kläger habe sich anlässlich einer vor ca. 20 Jahren erlittenen Verletzung des Pferdes „W.“ sehr um dieses gekümmert. Nach ihrem Eindruck hatte der Kläger zwar generell ein gutes Verhältnis zu allen seinen Tieren aber ein besonders enges Verhältnis zu dem Pferd „W.“, da er mit diesem besonders viel Zeit verbracht habe und auch nur auf diesem geritten sei.
Darüber hinaus war das Pferd am 4. August 20XX – die streitbefangenen Verletzungen außer Acht gelassen – in einem sehr guten, auch gesundheitlichen Zustand. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus den Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. J., der das Pferd selbst operiert hat und in diesem Zusammenhang den allgemeinen Zustand, insbesondere den Gesundheitszustand des Pferdes im Hinblick auf die notwendige tierärztliche Behandlung der erlittenen Verletzungen, insbesondere auch im Hinblick auf die anstehende Operation in Narkose, geprüft hat. Danach war trotz des verletzungsbedingten Schocks der Herz-Kreislauf in Ordnung und das Pferd konnte trotz der Verletzung alle vier Beine belasten. Auf Basis der Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. J., den Behandlungsunterlagen und aufgrund eines Lichtbildes vom streitbefangenen Pferd vom 16. August 20XX bestätigt der Sachverständige Prof. Dr. G. den positiven Gesamtzustand von „W.“. Das Pferd präsentierte sich danach am 16. August 20XX in einem gut bis sehr guten Gesundheitszustand. Dessen Gebiss war nach den vom Sachverständigen ausgewerteten Röntgenbildern in einem altersgerechten Zustand. Das Pferd hat die am 5. August 20XX im Rahmen der verletzungsbedingt erforderlichen Operation erfolgte Allgemeinanästhesie ohne Komplikationen überstanden und ist nach den Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. J. unproblematisch nach dem Erwachen aus der Narkose aufgestanden. Auch ist der Gesundheitszustand nach dem Klinikaufenthalt mit „gut“ wiedergegeben worden.
Die jeweils den mit der Klage geltend gemachten Tierarztbehandlungskosten zugrundeliegenden Heilbehandlungsmaßnahmen waren tiermedizinisch vertretbar.
Eine Begrenzung des Schadensersatzanspruchs gemäß § 251 Abs. 2 BGB unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes von Treu und Glauben nach § 242 BGB kommt hier – auch im Hinblick auf die ebenfalls zu beachtenden Grundsätze des Tierschutzes (Art. 20a GG, § 1 TierSchG) – trotz der erheblichen Diskrepanz zwischen dem wirtschaftlichen Wert des Pferdes „W.“ von 300,00 € und den notwendig gewordenen Heilbehandlungskosten von 14.801,56 € nicht in Betracht. Dabei war neben tierschutzrechtlichen Aspekten und dem besonderen Affektionsinteresse des Klägers an dem Pferd insbesondere der – wie oben dargelegt – gute Gesundheitszustand des Pferdes vor dem hier streitbefangenen Schadensereignis sowie die noch für mehrere Jahre bestehende Lebenserwartung des Pferdes sowie die Aussichten auf eine erfolgreiche Heilbehandlung zu berücksichtigen, denen allein wirtschaftliche Interessen der Beklagten gegenüber stehen.
Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 15.02.2023 – 20 U 36/20
ECLI:DE:OLGCE:2023:0215.20U36.20.00
Anmerkung:
Es bleibt zu hoffen, dass weitere Gerichte dieser Entscheidung folgen. Wir werden jedenfalls dafür kämpfen.
- AG Düsseldorf, Urteil vom 03.02.2022 – 27 C 40/21 [↩]
- OLG Celle, Urteil vom 14.03.2016 – 20 U 30/13; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.05.1993 – 22 U 92/92 [↩]
- BGH, Urteil vom 31.05.2016 – VI ZR 465/15 [↩]
- BGH, Urteil vom 06.07.1976 – VI ZR 177/75 [↩] [↩]
- BGH, Urteil vom 25.03.2014 – VI ZR 372/13 [↩] [↩]
- BGH, Urteil vom 20.12.2005 – VI ZR 225/04 [↩]
- BGH, Urteil vom 05.03.1985 – VI ZR 1/84 [↩]
- BGH, Urteil vom 05.03.1985 – VI ZR 1/84; OLG Rostock, Urteil vom 10.12.2010 – 5 U 57/10 [↩]
- OLG Celle, Urteil vom 14.03.2016 – 20 U 30/13; OLG Hamm, Urteile vom 08.07.1993 – 6 U 44/93; vom 21.02.1994 – 6 U 225/92; OLG Frankfurt, Urteil vom 27.05.1999 – 1 U 37/98; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 14.07.2005 – 8 U 283/04-60 [↩]
- BGH, Urteil vom 27.10.2015 – VI ZR 23/15 [↩]
- BT-Drucks. 11/5463 S. 5 [↩]
- BT-Drucks. 11/5463 S. 7 und 11/7369 S. 7; OLG Schleswig, MDR 2014, 1391 [OLG Schleswig 19.08.2014 – 4 W 19/14]; MünchKommBGB/Oetker, 6. Aufl., § 251 Rn. 58 [↩]
- vgl. BT-Drucks. 11/5463 S. 6 und 11/7369 S. 7 [↩]
- vgl. Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 251 Rn. 27; Erman/Ebert, BGB, 14. Aufl., § 251 Rn. 25 f.; Lorz, MDR 1990, 1057, 1059 [↩]
- BT-Drucks. 11/5463 S. 5; vgl. OLG München, VersR 2011, 1412; MünchKommBGB/Oetker, 6. Aufl., § 251 Rn. 62; vgl. auch LG Bielefeld, NJW 1997, 3320, 3321 für Tiere ohne Marktwert [↩]
- vgl. Senatsurteile vom 3. Dezember 1974 – VI ZR 1/74, BGHZ 63, 295, 299 ff. und vom 19. Oktober 1993 – VI ZR 20/93, VersR 1994, 64, 65 f.; BGH, Urteile vom 26. Oktober 1972 – VII ZR 181/71, BGHZ 59, 365, 367 und vom 4. April 2014 – V ZR 275/12, BGHZ 200, 350 Rn. 41, 45 [↩]
- AG Frankfurt, Urteil vom 14.06.2000 – 29 C 2234/99 – 69; OLG München, Urteil vom 11.04.2011 – 21 U 5534/10 [↩]
- AG Schöneberg, Urteil vom 30.06.1987 – 12 C 243/87 [↩]
- siehe Staudinger/Höpfner, BGB (2021), § 251 Rn. 28; AG Idar-Oberstein, Urteil vom 20.04.1999 – 3 C 618/98 [↩]
- BT-Drs. 11/7369 S. 7 [↩]
- MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl., § 251 Rn. 65; BeckOGK/Brand, BGB, Stand: 1.3.2022, § 251 Rn. 63 [↩]