Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 HuV SL (Polizeiverordnung über den Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden im Saarland) sind Hunde „gefährliche Hunde“,
die sich als bissig erwiesen haben.
Wie ist aber diese „Bissigkeit“ genauer zu definieren? Reicht ein Biss oder muss da noch mehr hinzukommen?
Mit dieser Frage hatte sich nun das Verwaltungsgericht des Saarlandes im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu beschäftigen.
Zusammengefasst ist das Verwaltungsgericht Saarlouis zu folgenden Ergebnissen gekommen:
- Der Rechtsbegriff der Bissigkeit gemäß § 1 Abs 1 Nr 1 HuV SL ist erfüllt, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die die Neigung des Hundes zum Beißen belegen, so dass von einer dem Wesen des Hundes nicht regelmäßig entsprechenden Schärfe auszugehen ist.
- Ein Hund ist als bissig anzusehen, wenn er seine Gefährlichkeit bereits dadurch gezeigt hat, dass er einmal gebissen hat.
- Allerdings reicht nicht jeder Hundebiss, also unabhängig von eventuell festzustellenden situationsbedingten Besonderheiten, zwangsläufig zum Beleg einer besonderen Schärfe aus.
Im Einzelnen:
In dem entschiedenen Fall hatte ein Schäferhund einen anderen Hund durch Bisse in Hals und Nacken schwer verletzt. Die beklagte Behörde stufte den Hund darauf als „gefährlichen Hund“ ein und ordnete diesbezüglich auch den Sofortvollzug an. In einer weiteren Verfügung folgte eine Haltungsuntersagung – auch unter Anordnung des Sofortvollzuges.
Der Antrag des Hundehalters auf Wiederhertsellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid hat das Verwaltungsgericht Saarlouis zurückgewiesen.
In materieller Hinsicht hat das Gericht im Rahmen seiner Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO eine Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragsstellers, von den Wirkungen der getroffenen Einstufung seines Schäferhundes als gefährlich bis zu einer abschließenden Entscheidung über seinen Rechtsbehelf verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an einer unverzüglichen, von der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs nicht gehinderten Durchsetzung der angefochtenen Entscheidung vorzunehmen. Hierbei sind maßgeblich die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Ergibt diese Prüfung, dass die polizeiliche Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist, vermag kein öffentliches Interesse die sofortige Vollziehung zu rechtfertigen. Erweist sich diese dagegen als offensichtlich rechtmäßig, hat das öffentliche Interesse am Vollzug in der Regel Vorrang vor dem privaten Interesse an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung. Erweisen sich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs als offen, so ist zwischen den widerstreitenden Belangen der Beteiligten abzuwägen und danach zu entscheiden, wessen Interesse bei Beachtung aller Umstände des Einzelfalles größeres Gewicht beigemessen werden muss.
Hiervon ausgehend überwiegt nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Saarlouis das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Polizeiverfügung, weil der vom Antragsteller eingelegte Rechtsbehelf ausgehend von dem derzeitigen Erkenntnisstand aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die Einstufung des Schäferhundes des Antragstellers als gefährlicher Hund erweist sich als offensichtlich rechtmäßig.
Die Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes findet ihre Rechtsgrundlage in § 1 Abs. 2 HuV SL. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde bei Zweifeln über die Gefährlichkeit eines Hundes das Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 1 feststellen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 HuV SL sind gefährliche Hunde unter anderem Hunde, die sich als bissig erwiesen haben.
Der Rechtsbegriff der Bissigkeit gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 HuV SL ist nach der Rechtsprechung der saarländischen Verwaltungsgerichte dahingehend zu bestimmen, dass Anhaltspunkte vorliegen müssen, die die Neigung des Hundes zum Beißen belegen, so dass von einer dem Wesen des Hundes nicht regelmäßig entsprechenden Schärfe auszugehen ist. Danach ist ein Hund als bissig anzusehen, wenn er seine Gefährlichkeit bereits dadurch gezeigt hat, dass er einmal gebissen hat, wobei allerdings nicht jeder Hundebiss, unabhängig von eventuell festzustellenden situationsbedingten Besonderheiten, zwangsläufig zum Beleg einer besonderen Schärfe ausreicht. ((OVG Saarland, Beschlüsse vom 08.01.2021 – 2 B 360/20; vom 01.03.2000 – 9 W 2/99; VG Saarlouis, Beschlüsse vom 18.08.2020 – 6 L 619/20; vom 19.05.2020 – 6 L 414/20; vom 08.11.2019 – 6 L 1169/19))
Dies zugrunde legend durfte die Antragsgegnerin angesichts der ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisse ohne Rechtsfehler davon ausgehen, dass der Schäferhund des Antragstellers als gefährlicher Hund anzusehen ist.
In der Sache ist es unbestritten, dass es zu einem Beißvorfall gekommen ist, bei dem sich der Schäferhund des Antragstellers bei einem Spaziergang in Richtung Wildpark auf einen anderen Hund gestürzt und diesen durch Bisse in Hals und Nacken so stark verletzt hat, dass dieser anschließend tierärztlich versorgt werden musste. Letzteres ist durch die von dem geschädigten Hundehalter zu den Verwaltungsakten gereichte Rechnung der GmbH hinreichend belegt. Anhaltspunkte dafür, dass der Schäferhund des Antragstellers zu seinem Verhalten durch den anderen Hund, seinen Halter oder sonstige äußere Umstände in nachvollziehbarer Weise veranlasst worden wäre, sind nicht feststellbar. Die insoweit von dem Antragsteller gegebene Erklärung, er habe dem anderen Hundehalter schon von Weitem zugerufen, er solle bitte Abstand halten, was dieser nicht getan habe, ist schon mangels hinreichender Substanz nicht geeignet, die in dem Beißvorfall zutage getretene Gefährlichkeit seines Schäferhundes zu widerlegen. Dem stehen im Übrigen auch die eindeutigen, in sich widerspruchsfreien Angaben des geschädigten Hundehalters in dessen polizeilicher Anzeige entgegen. Seiner Schilderung zufolge kam der Schäferhund des Antragstellers plötzlich und ohne Gebell oder Knurren auf ihn und seinen Hund zugestürmt, stürzte sich direkt auf seinen Hund und verbiss sich in dessen Hals. In einem solchen Verhalten des Schäferhundes des Antragstellers tritt aber eine besondere Schärfe zutage, die eine Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes rechtfertigt, zumal wenn der Angriff -wie hier- plötzlich und unvermittelt erfolgt ist, ohne dass ihm eine Provokation seitens des anderen Hundes oder Hundehalters in der konkreten Situation vorausgegangen ist.1
Bei dieser Sachlage ist der Schäferhund des Antragstellers – so das Verwaltungsgericht Saarlouis – mithin zu Recht von der Antragsgegnerin als gefährlicher Hund im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HuV SL eingestuft worden.
Soweit man das Vorbringen des Antragstellers in seinem Widerspruchsschreiben in seinem wohl verstandenen Interesse zudem als Widerspruch gegen die weitere polizeiliche Verfügung der Antragsgegnerin, mit der ihm auf der Grundlage der §§ 1 Abs. 3 und 2 Abs. 5 HuV SL die Erlaubnis zum Halten seines als gefährlich eingestuften Schäferhundes versagt und dessen Haltung untersagt worden ist, ansehen und den vorliegenden Eilrechtsschutzantrag dem entsprechend dahingehend auslegen wollte, dass dieser auch auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs gerichtet ist, bliebe auch diesem Antrag der Erfolg versagt.
Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 HuV SL hat die zuständige Behörde die Haltung eines gefährlichen Hundes zu untersagen, wenn die erforderliche Erlaubnis nicht eingeholt wurde, nicht erteilt werden konnte oder entzogen wurde. Das Gleiche gilt nach Satz 2 der Vorschrift, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch das Halten eine Gefahr für Leben oder Gesundheit von Menschen oder Tieren besteht.
Von Letzterem ist vorliegend ersichtlich auszugehen, so das Verwaltungsgericht Saarlouis.
Wie sich dem den Schäferhund des Antragstellers betreffenden Verwaltungsvorgang entnehmen lässt, ist es bereits kurze Zeit nach dem der Einstufung als gefährlicher Hund zugrunde liegenden Beißvorfall zu einem weiteren Vorfall gekommen. Laut telefonischer Mitteilung der geschädigten Hundehalterin sowie einer Zeugin hat der Schäferhund des Antragstellers einen Labrador gebissen, und ist auch die Hundehalterin selbst bei dem Vorfall an der Hand verletzt worden. Ein weiterer vom Antragsteller nicht in Abrede gestellter Beißvorfall ergibt sich aus einem polizeilichen Einsatzbericht. Ausweislich dessen Inhalt verbiss sich der Schäferhund des Antragstellers beim Ausführen im Bürgerpark aufgrund einer fahrlässigen Führung mittels Flexileine in den Königspudel eines anderen Hundehalters. Darüber hinaus liegen der Antragsgegnerin zahlreiche Schreiben besorgter Anwohner und Bürger vor, in denen über das als unberechenbar und gefährlich angesehene Verhalten des Schäferhundes des Antragstellers berichtet wird. Dass der Schäferhund ausgesprochen aggressiv und selbst an der Leine kaum zu bändigen ist, findet schließlich seine Bestätigung in der Wesensbeurteilung des von der Antragsgegnerin beauftragten Sachverständigen für das Hundewesen im Saarland. Darin heißt es, dass der Schäferhund keinerlei Gehorsam kennt und sich bereits das Anleinen des Hundes als schwierig erweise, weil er keine Berührung zulasse und immer in dem Reiz stehe, unvorhersehbar zu beißen. Hunden, Pferden und Menschen begegne er mit sofortiger Aggression und strammem Ziehen in der Leine in deren Richtung, wobei er sich hierbei auch nicht beruhigen lasse. Bei Einwirkungen über die Leine und Halsband neige er zu rückwärtiger Aggression, wobei er verschiedentlich versuche, den Hundeführer zu beißen. Begegnungen mit Fahrzeugen und Fahrradfahrern gestalteten sich in gleicher Art und Weise. Abschließend ist festgehalten, dass sich der Schäferhund in allen Bereichen in den vielen ihm dargebotenen Stimuli und Reizauslösern sehr wesensschwach und aggressiv gezeigt habe und er weder Menschen noch Tieren gegenüber sozial verträglich sei. Dass bei diesen Wesensauffälligkeiten des Schäferhundes des Antragstellers jederzeit mit weiteren Beißvorfällen gerechnet werden muss, liegt auf der Hand. Damit ist aber ohne Weiteres auch die Annahme gerechtfertigt, dass durch das Halten des Schäferhundes eine Gefahr für Leben oder Gesundheit von Menschen oder Tieren im Verständnis von § 2 Abs. 5 Satz 2 HuV SL besteht. Mildere Mittel, dieser Gefahr zu begegnen, sind nicht ersichtlich, da dem Antragsteller die Einsicht in die Gefährlichkeit seines Schäferhundes fehlt und sich aus den aktenkundigen Vorfällen zudem ergibt, dass der Antragsteller offenbar auch körperlich nicht in der Lage ist, seinen Hund sicher an der Leine zu führen.
Erweist sich danach die Untersagung der Hundehaltung als offensichtlich rechtmäßig, gilt Entsprechendes für die gegenüber dem Antragsteller zugleich ausgesprochene Versagung der Erlaubnis zum Halten seines als gefährlich eingestuften Hundes.
Durchgreifende rechtliche Bedenken gegen die in der Polizeiverfügung der Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller weiter getroffene Anordnung zur Abgabe seines Schäferhundes oder die Androhung der Ersatzvornahme sowie deren aufschiebend bedingten Festsetzung sind ebenfalls nicht veranlasst, s das Verwaltungsgericht Saarlouis abschliessend.
Verwaltungsgericht Saarlouis, Beschluss vom 10.05.2021 – 6 L 223/21
ECLI:DE:VGSL:2021:0510.6L223.21.00
- VG Saarlouis, Beschluss vom 19.05.2020 – 6 L 414/20; VGH Mannheim, Beschluss vom 24.05.2018 – 1 S 432/18 [↩]