Nicht gegen Hundehalter vorgegangen – Staat muß für Hundebiß zahlen

Haftet eine Behörde dafür, wenn sie nach einem Bißvorfall mit einem Hund evtl. nicht ausreichend reagiert hat und erneut eine Person zu Schaden kommt?

Im konkreten Fall hat das Landgericht Köln diese Frage bejaht.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Am 16.03.1996 gegen 21 Uhr wurde der damals 14 Jahre alte Kläger, der zu diesem Zeitpunkt mit anderen Kindern in der Nähe seines Wohnhauses in der X-Straße in Köln spielte, von dem Kampfhund „D“ in den linken Unterschenkel gebissen. Dabei hatte der Kläger das Tier nicht gereizt. Dieses war vielmehr unvermittelt hinter ihm hergelaufen. Bei dem Hund handelt es sich um einen Staffordshire-Mischlings-Rüden, der zu diesem Zeitpunkt etwa 1,5 Jahre alt war. Er gehörte Herrn A und wurde zum Zeitpunkt des Vorfalls von dessen Schwester unangeleint und ohne Maulkorb ausgeführt. Der Kläger erlitt einen massiven Weichteilausbiß. Es mußte eine Hauttransplantation durchgeführt werden. Er befand sich in der Zeit vom 16. 03.1996 bis 19.04.1996 in stationärer Krankenhausbehandlung. Im Rahmen der postoperativen Nachbehandlung suchte er 15 mal seinen Hausarzt in der Zeit vom 23.04.1996 bis 28.05.1996 auf.

Frau A wurde am 5. 6. 1996 vom Amtsgericht Köln wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Sie und ihr Bruder A wurden außerdem vom AG Köln durch Versäumnisurteil vom 13.06.1997 verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kl. 4240 DM – davon 4000 DM als Schmerzensgeld – nebst Zinsen zu zahlen. Nach erfolglosen Vollstreckungsversuchen aus diesem Urteil gaben beide Schuldner eidesstattliche Versicherungen hinsichtlich ihrer Vermögensverhältnisse ab. Bereits am 26.10.1995 hatte die Beklagte aufgrund eines Vorfalls vom 05.10.1995 eine Ordnungsverfügung gegenüber dem Hundehalter A erlassen, wonach der Kampfhund u.a. nur noch angeleint und mit Maulkorb versehen ausgeführt werden durfte. Am 05.10.1995 war der Hund gegen 19.30 Uhr zusammen mit einem weiteren Hund von A ausgeführt worden. Die beiden Tiere hatten zunächst begonnen, miteinander zu kämpfen. Dann hatten die Hunde einen Mann – Herrn K – angegriffen und diesem Bißwunden zugefügt, aufgrund derer er sich in stationäre Krankenhausbehandlung hatte begeben müssen. Die genauen Umstände dieses Geschehens sind streitig. Nach den Angaben von Herrn K – auf die der Kläger sich stützt – hätten ihn die Hunde unvermittelt angegriffen. Herrn A zufolge – so die Beklagte – habe Herr K dagegen ihn und die Hunde mit einem Knüppel angegriffen. Die Hunde hätten sich daraufhin lediglich verteidigt. Die Hunde waren am 12.10.1995 und am 23.10.1995 amtstierärztlich daraufhin untersucht worden, ob sie als gefährlich einzustufen seien. Die Amtstierärztin empfahl bezüglich beider Tiere einen Leinen- und Maulkorbzwang auszusprechen, bis der Vorfall vom 05.10.1995 endgültig geklärt sei. Hierauf erfolgte die oben angegebene Ordnungsverfügung vom 26.10.1995. Bei einer Außenkontrolle am 14.11.1995 wurde ein ordnungsgemäßes Verhalten von Herrn A festgestellt. Die ausgeführten Hunde waren angeleint und trugen einen Maulkorb. Der Kläger ist der Meinung,die Ordnungsverfügung vom 26.10.1995 sei nicht weitgehend genug und daher rechtsfehlerhaft. Der Beklagte hätte bereits nach dem Vorfall vom 05.10.1995 bekannt sein müssen, daß es sich bei dem Hund um einen gefährlichen Hund i.S. von § 1 NWGefHuVO gehandelt habe. Die Bekl. hätte daher nach § 6 der NWGefHuVO das Halten dieses Tieres untersagen müssen.

Das Landgericht hat einen Anspruch des Klägers aus Amtspflichtverletzung des Beklagten bejaht.

Aus den Gründen:

Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 4000 DM gem. §§ 839 I 1, 847 BGB i.V. mit Art. 34 GG gegenüber der Beklagten zu.

Die Beklagte hat in Ausübung eines öffentlichen Amtes eine ihr gegenüber dem Kläger obliegende Amtspflicht verletzt. Die Beklagte hätte nach dem Vorfall vom 05.10.1995 Herrn A das Halten des Staffordshire-Mischlings-Rüden „D„ gem. § 6 NWGefHuVO untersagen müssen. Bei dem Hund handelte es sich um einen gefährlichen Hund i.S. von § 1b NWGefHuVO, da er sich als bissig erwiesen hatte.

Ein einzelner Hundebiß gegenüber einem Menschen führt ohne weitere Begleitumstände zwar nicht zur Annahme des Tatbestandes der Bissigkeit (Nr. 4.1.2 der Verwaltungsvorschriften zur Anwendung der ordnungsbehördlichen Verordnung über die Zucht, die Ausbildung, das Abrichten und das Halten gefährlicher Hunde (NWGefHuVO). Nach einem Beißvorfall zwischen Hunden erfüllt das Spielen, Raufen und andere artgemäße Verhaltensweisen von Hunden den Tatbestand ebenfalls nur in Verbindung mit weiteren Begleitumständen (Nr. 4.1.4 VwV). Für die Ermittlung der einzelnen Begleitumstände ist die Beklagte zuständig (Nr. 4.1.3 VwV).

Die Beklagte hat keine Maßnahmen vorgenommen, um den Vorfall vom 05.10.1995 aufzuklären. Sie hat insbesondere die Beteiligten nicht zu einer Schilderung des Vorfalls veranlaßt, obwohl die Amtstierärztin in ihrem Bericht vom 12.10.1995 und ihrem Bericht vom 06.11.1995 angab, der Hergang des Vorfalls vom 05.10. 1995 müsse vor einer endgültigen Beurteilung ihrerseits ermittelt werden. Dies hat die Beklagte versäumt. Bei Wertung des Vorfalls vom 05.10.1995 ist zu beachten, daß es bereits hier zu schweren Verletzungen des Herrn K – Bißwunden am gesamten Körper und insbesondere am linken Arm – aufgrund des Angriffs der beiden Hunde gekommen ist. Im Hinblick auf die erlittenen Verletzungen war eine stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich. Bei der Einlassung des Hundehalters, Herr K habe sich im Gebüsch aufgehalten und sei mit einem Knüppel auf die Hunde losgegangen, handelt es sich um eine nicht überzeugende Einlassung, wie sie typischerweise von Hundehaltern vorgebracht wird, wenn Verletzungen durch ihre Hunde eingetreten sind. Insbesondere spricht nichts für seine Darstellung, daß eine einzelne Person auf zwei „Kampfhunde„ losgeht. Das wurde von der Beklagten bei ihrer Entscheidung vom 26.10.1995 nicht hinreichend berücksichtigt.

Von der Bekl. war ferner zu beachten, daß zwei Hunde in einer Wohnung gehalten wurden, die sich in einem Wohngebiet mit Hochhauscharakter befand. Ein solches Wohngebiet ist dadurch gekennzeichnet, daß sich viele Menschen dort aufhalten und ein Kontakt zwischen Hunden und Menschen unvermeidbar ist. Dem Schutz von Menschen vor gefährlichen Hunden kommt in solchen Gebieten besondere Bedeutung zu.

Die Bekl. hat an die Hundehalter dabei auch besondere Zuverlässigkeitsanforderungen zu stellen. Bei Herrn A handelte es sich bei dem Vorfall am 05.10.1995 um einen 23 Jahre alten Hundehalter. Seine Schwester war am 16.03.1996 erst 17 Jahre alt. Das Halten von Kampfhunden wird bekanntermaßen in solchen Kreisen als „Statussymbol„ angesehen. Bei beiden Hunden handelt es sich darüber hinaus um kräftige Tiere, die nach dem Bericht der Amtstierärztin nur von Personen ausgeführt werden sollten, die diese Hunde sicher unter Kontrolle halten konnten. Herr A hatte gegenüber der Amtstierärztin zudem selbst angegeben, daß beide Hunde schon aufeinander aggressiv reagierten, so daß sie nur noch getrennt voneinander gehalten und ausgeführt werden konnten. Bezeichnenderweise besteht für die beiden Hunde offenbar auch keine Haftpflichtversicherung, wie dies bei verantwortungsvollen Hundehaltern üblich ist.

Aus alledem ergibt sich, daß das Ermessen der Bekl. auf Null reduziert war und nur ein Untersagen der Hundehaltung als vertretbare Maßnahme in Betracht kam. Das auf § 14 I NWOBG gestützte Anlein- und Maulkorbgebot (s. 4.1.1 VwV) war dagegen nicht ausreichend, wie der Vorfall zeigt, der Anlaß der Klage ist.

Aufgrund der erlittenen Verletzungen ist das begehrte Schmerzensgeld von 4000 DM angemessen. Der Kläger hat durch Bescheinigung von Dr. Y vom 28.08.1996 belegt, daß aufgrund der Hundebißverletzung am linken Unterschenkel mit großem Weichteildefekt operativ ein Hautlappen-Transplantat eingesetzt werden mußte. Es verbleibt zudem eine große Narbe, allerdings ohne eine Funktionseinschränkung.

Dem Kläger steht Ersatz in Höhe von 100 DM für Attestkosten zu. Er hat dies durch die Liquidation von Dr. Y vom 28.08.1996 belegt.

Für die zerrissene Hose sind 100 DM anzusetzen (§ 287 ZPO). Die Auslagenpauschale in Höhe von 40 DM ist ebenfalls begründet (§ 249 BGB, § 287 ZPO). Es besteht ein materiellrechtlicher Anspruch auf Zahlung der Kosten für Porto und Arztbesuche (vgl. BGH, NJW 1980, 119).

Der Zinsanspruch ist unter dem Gesichtspunkt des Verzugs (§§ 284 ff. BGB) ab 03.02.1998 gerechtfertigt, nachdem die Beklagte Zahlungen abgelehnt hat.

Landgericht Köln, Urteil vom 23.03.1999 – 5 O 387/98

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