Jeder Hundehalter kennt das Phänomen, dass der Hund überall rumliegt und dabei am liebsten im Weg. Dieses „einfache Herumliegen“ kann jedoch zur Haftung führen – beispielsweise, wenn ein Dritter über den Hund stolpert.
So jedenfalls das Oberlandesgericht Hamm in einem aktuell entschiedenen Fall, in dem die 61jährige Klägerin in einem Reitsportgeschäft in Meinerzhagen einkaufte, in dem die Beklagte zu 1) als Verkäuferin beschäftigt war. Beim Verlassen des Geschäfts stürzte die Klägerin über die im Eingangsbereich liegende Schäferhündin der Beklagten. Als Hundehalterin nahm die Beklagte ihre Hündin mit Zustimmung des Geschäftsinhabers regelmäßig ins Ladengeschäft mit. Am Unfalltag hatte sich die Hündin eigenmächtig in den ca. 1,5 m von der Kasse entfernten Eingangsbereich begeben und ruhte dort so, dass sie den Zugang zum Geschäft so gut wie versperrte. Sie war von der Klägerin, hinter deren Rücken sie lag, übersehen worden, als sich die Klägerin nach dem Bezahlen an der Kasse zum Ausgang begeben hatte. Durch den Sturz zog sich die Klägerin eine schwere Knieverletzung zu, für die sie von der Beklagten Schadensersatz verlangt, u.a. ein Schmerzensgeld in der Größenordnung von 15.000 €. Die Beklagte hat gemeint, dass keine Tierhalterhaftung eingreife und die Klägerin den Sturz aufgrund ihrer Unaufmerksamkeit selbst verschuldet habe.
Das Oberlandesgericht Hamm vertritt die Auffassung, dass die Beklagte als Halterin des Schäferhundes, insoweit abweichend von der Ansicht des Landgerichts, bereits die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung nach den §§ 833 S. 1, 249 I, 253 II BGB (Tierhalterhaftung) trifft.
Es ist, so das Oberlandesgericht Hamm, auf die tierimmanente Gefahr des Hundes zurückzuführen, dass die Klägerin unstreitig beim Verlassen des Ladenlokals über ihn stürzte und sich am rechten Knie verletzte. Bei der Rechtsgutverletzung der Geschädigten hat sich gerade die dem Tier typischerweise anhaftende Gefahr verwirklicht, indem der Schaden auf der Unberechenbarkeit und Selbstständigkeit tierischen Verhaltens sowie der dadurch hervorgerufenen Gefährdung beruht1. Dies ist nach der Rechtsprechung auch der Fall, wenn ein Tier ein gefährliches Verkehrshindernis bildet, weil es sich eigenmächtig ohne Rücksicht auf den Verkehr in den Verkehrsraum begeben hat und dort ruht. Ein solches unbekümmertes Verhalten entspricht der tierischen Natur; in ihm wirkt sich die Gefahr aus, die die Haltung des Tieres mit sich bringt und derentwegen die besondere Tierhalterhaftung geschaffen worden ist. Demgemäß ist nicht darauf abzustellen, dass der Hund regungslos auf dem Boden lag und schlief, sondern darauf, wie das Tier in seine Lage gelangt ist2. Der Hund hat sich nicht etwa aufgrund irgendeiner Einwirkung durch einen Menschen, die ihm keine andere Freiheit ließ, sondern unstreitig frei und von selbst in den einzigen Zugang des Ladens begeben und schlafen gelegt, wobei er diese für den eröffneten Publikumsverkehr neuralgische Stelle aufgrund der Größenverhältnisse so gut wie versperrte. Der Vergleich der Beklagten mit einer beispielweise an der Stelle verkehrshinderlich abgestellten Getränkekiste ist verfehlt, weil eine solche sich nicht selbst dorthin hätte begeben und die Gefahrenlage schaffen können.
Da der Hund unstreitig nicht dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt der Beklagten diente, kann sie sich nach § 833 S. 2 BGB nicht entlasten.
Entgegen ihrer Ansicht ist ihre deliktische Haftung im Außenverhältnis gegenüber der Klägerin auch durch keinerlei Auswirkungen aus ihrem Arbeitsverhältnis beschränkt.
Außerdem ergibt sich die Schadensersatzhaftung der Beklagten zu 1. aus § 823 I BGB, weil sie schuldhaft ihre Verkehrssicherungspflicht gegenüber der Klägerin verletzt hat.
Derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, hat die erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen zur Abwendung von Gefahren zu treffen, die bei der im Einzelfall gebotenen Sorgfalt nach dem typischen, am Ort zu erwartenden Verkehr zu erwarten sind; Voraussetzung ist, dass sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Gemessen daran musste die Beklagte zu 1. jedenfalls eingreifen, wenn sie konkreten Anlass dafür hatte, dass es durch die Anwesenheit ihres Hundes in dem Geschäftslokal zu einer Gefährdung Anderer kommen konnte.
Einen solchen Anlass hatte sie hier nach ihrer eigenen persönlichen Darstellung gegenüber dem Senat. Danach habe sie, als sie mehrere Minuten die Klägerin an der Kasse bediente, bemerkt, dass der Hund neben der Kassentheke, wo er sich bis dahin befand, aufstand und wegging. Sie habe deshalb -zutreffend- damit gerechnet, dass er sich wie schon gewohnt und ihr bekannt auf seinem Lieblingsplatz auf der Matte im einzigen Ladenzugang ablegte. Damit lag er in Gehrichtung zum Ausgang unstreitig nur etwa 1,5 m -für einen Erwachsenen kaum zwei Schritte- unmittelbar im Rücken der Klägerin, die bezahlte und das Lokal verlassen würde. Es war deshalb nicht nur objektiv vorhersehbar, sondern für die Beklagte zu 1. zu erkennen, dass die Klägerin, die erkennbar den Hund dort nicht bemerkt hatte, ihn beim Hinausgehen übersehen und über ihn stürzen konnte. Die Beklagte zu 1. hätte sie deshalb davor warnen bzw. den Hund wegschaffen müssen. Dass die Beklagte dies unstreitig nicht tat, begründet bei der gegebenen Sachlage den Vorwurf der Fahrlässigkeit, weil sie außer Acht gelassen hat, was von einem Verständigen in ihrer Lage und mit ihrer Kenntnis zu erwarten war (§ 276 II BGB).
Weil sie sich über § 278 BGB diese ursächliche und schuldhafte Pflichtverletzung zurechnen lassen muss, folgt die Schadensersatzhaftung der Beklagten zu 2. aus dem Unterbleiben der Verkehrssicherung durch sie als Geschäftsinhaberin, die sie als Nebenpflicht aus dem Kaufvertrag mit der Klägerin schuldete (§§ 433, 241 II, 280 I, 249 I, 253 II BGB). Die vertraglichen Verkehrssicherungspflichten decken sich mit den allgemeinen, s.o.; die Beklagte zu 1. hatte als Ladenangestellte diese Pflichten für die Beklagte zu 2. (Geschäftsinhaberin) gegenüber der Klägerin wahrzunehmen.
Es handelt sich nicht etwa nur um eine Pflichtverletzung der Beklagten zu 1) bei Gelegenheit der Vertragserfüllung ohne sachlichen Zusammenhang mit ihr obliegenden Aufgaben. Dagegen spricht schon, dass die Beklagte zu 2) ihr die Mitnahme des Hundes seit langer Zeit gestattet hatte.
Ein Mitverschulden (§ 254 I BGB), das der Klägerin anzulasten wäre, haben die Beklagten nicht bewiesen.
Nach dem aufgrund des Beweisergebnisses zugrunde zu legenden Hergang hat sie die Sorgfalt gewahrt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch in der Situation zu beachten hatte, um eigenen Schaden zu vermeiden. Aufgrund der schon dargestellten Enge im räumlichen und zeitlichen Ablauf musste sie den Hund direkt hinter ihr beim Wegwenden von der Kasse und Hinausgehen, bei dem man den Blick -über das Tier hinweg- nach vorne geradeaus richtet bzw. kurz bei der Verabschiedung den Umstehenden zuwendet, wie von der Beklagten zu 1. und der Zeugin Y geschildert, auch bei gehöriger Aufmerksamkeit ungeachtet seiner Größe nicht wahrnehmen, zumal er nach ihrer unwiderlegten Einlassung flach auf dem Boden gelegen habe. Entgegen der Ansicht der Beklagten besteht in einer derartigen Situation nach der Rechtsprechung keine Pflicht, den Blick ohne einen Anhaltspunkt sofort nach unten zu richten und den Boden vor sich auf etwaige Hindernisse zu kontrollieren.
Wollte man der Klägerin überhaupt den Vorwurf eines Mitverschuldens machen, wäre dieses auf den Grad leichtetster Fahrlässigkeit beschränkt und würde deshalb hinter dem schwereren Verschulden der Beklagten vollständig zurücktreten.
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 15.02.2013 – 19 U 96/12
- BGHUrteil vom 20.12.2005 – VI ZR 225/04 [↩]
- OLG Köln, Urteil vom 25.01.2011 – 19 U 114/10 [↩]