Welche Ansprüche stehen einem (Zahn-)Arzt zu, wenn der Patient einen vereinbarten Behandlungstermin kurz vorher wieder absagt? Wenn es nach dem Oberlandesgericht Stuttgart geht: keiner. Der (Zahn-)Arzt könne im Regelfall, so das OLG, weder aus dem Behandlungsvertrag noch als Schadensersatz aus einer schuldhaften Vertragsverletzung etwas von dem wankelmütigen Patienten verlangen.
Kein Anspruch aus dem Behandlungsvertrag
Dem Arzt oder Zahnarzt stehe zunächst kein Anspruch aus dem Behandlungsvertrag gegen den Patienten zu.
Ob und unter welchen Voraussetzungen einem Arzt oder Zahnarzt für den Fall der Absage eines fest vereinbarten Behandlungstermins seitens den Patienten Ansprüche auf das Behandlungshonorar nach § 615 BGB i.V. mit den Bestimmungen der jeweiligen Gebührenordnung (GOÄ bzw. GOZ) zustehen können, ohne dass der Arzt die Behandlung nachzuholen hat, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
Ein Teil der veröffentlichten Rechtsprechung hält – mit teils divergierenden Begründungen und in unterschiedlichen Fallkonstellationen – § 615 BGB grundsätzlich für nicht anwendbar (LG München II, NJW 1984, 671; LG Heilbronn, NZS 1993, 424; LG Hannover, NJW 2000, 1799; AG München, NJW 1990, 2939; AG Calw, NJW 1994, 3015; AG Rastatt, NJW-RR 1996, 817; AG Dieburg, NJW-RR 1998, 1520). So wird insbesondere die Auffassung vertreten, die Vereinbarung eines Behandlungstermins diene – jedenfalls im Zweifel – nur der Sicherung eines zeitlich geordneten Behandlungsablaufs, beinhalte aber grundsätzlich keine kalendermäßige Bestimmung der Leistungszeit i.S. des § 296 BGB (so LG München II, aaO), so dass es im Allgemeinen am Annahmeverzug fehle. Zudem liege im Hinblick auf das (freie) Kündigungsrecht des Patienten nach § 621 Nr. 5 BGB oder § 627 BGB das Risiko, die erwartete Vergütung nicht zu verdienen, beim Arzt (LG München II und AG Calw, jeweils aaO, auch zur Frage eines Schadensersatzanspruchs).
Andere Gerichte haben dagegen Vergütungsansprüche – wiederum in unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen und mit unterschiedlicher Begründung – bejaht (LG Konstanz, NJW 1994, 3015; AG Osnabrück, NJW 1987, 2935 für Krankengymnasten; AG Bremen, NJW-RR 1996, 819; AG Ludwigsburg, NJW-RR 1993, 1695; AG Meldorf, NJW-RR 2003, 1029 für den Fall des Nichterscheinens ohne vorherige Terminsabsage; implizit auch AG Fulda, Arzt und Recht 2003, 167).
Auch in der Literatur sind die Meinungen geteilt (für die Anwendung des § 615 BGB: Wertenbruch, MedR 1991, 167; Uhlenbruck/Kern in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Auflage, RN 14 zu § 78 und RN 21 zu § 82 m.w.N; wohl auch Henssler in Münchner Kommentar zum BGB, 4. Auflage, RN 9 zu § 615 BGB; Palandt-Weidenkaff, BGB, 66. Auflage, RN 2 zu § 615 BGB; gegen eine sog. Verweilgebühr dagegen Hesse in Münchner Kommentar zu BGB, 4. Auflage, RN 28 zu § 621 BGB).
b) Die grundsätzliche Streitfrage, inwieweit Vergütungsansprüche nach § 615 BGB bei Absage eines Behandlungstermins oder bei unentschuldigtem Fernbleiben des Patienten in Betracht kommen können, braucht im vorliegenden Fall nicht abschließend entschieden zu werden.
Und auch das OLG Stuttgart meldet Bedenken hinsichtlich eines vertraglichen Anspruchs an. Zweifel erscheinen dem OLG insbesondere im Hinblick auf das freie Kündigungsrecht des Patienten (§§ 621 Nr.5, 627 BGB) und im Hinblick auf den Zweck einer Terminsvereinbarung angebracht, zumal auch Ärzte und Zahnärzte ihren Patienten nicht selten erhebliche Wartezeiten ohne Ausgleich für entgangenen Verdienst abverlangen. Ebenso wäre zu erwägen, dass die nach früherem Recht (GOÄ 1965) vorgesehene Verweilgebühr in die Neufassung der GOÄ von 1982/1999 keinen Eingang gefunden hat.
Unabhängig davon scheitert ein solcher vertraglicher Anspruch des Zahnarztes oder Arztes nach Ansicht des OLG Stuttgart aber auch immer dann, wenn der Patient kurz vor dem Termin beim (Zahn-)Arzt anruft und den Termin im Einvernehmen mit den Arzt auf einen späteren Zeitpunkt verlegt haben. Denn durch diese Terminsänderung ist für die Mitwirkungshandlung des Patienten Beklagten jetzt ausschließlich der neue, spätere Termin maßgeblich, nicht mehr der ursprünglich vereinbarte, abgesagte. Daher konnte für den Patienten bei dem abgesagten Termin auch kein Annahmeverzug mehr eintreten. Dass der Arzt zu dieser Terminsänderung nur bereit gewesen sein mag, weil sich der Patient durch ein Beharren auf dem Termin – möglicherweise – nicht hätte umstimmen lassen, ist für die rechtliche Beurteilung im Rahmen des § 615 BGB nach Ansicht des OLG ohne entscheidende Bedeutung.
Kein Schadensersatzanspruch aus Vertragsverletzung
Dem (Zahn-)Arzt stehen regelmäßig aber auch keine Schadensersatzansprüche zu. Zwar habe der Patient, so das OLG, durch die kurzfristige Terminsabsage eine vertragliche Nebenpflicht verletzt. Dem Arzt entstünde hieraus – von Ausnahmefällen abgesehen – aber kein ersatzfähiger Schaden. Denn dem Arzt könne durch die Pflichtverletzung des Patienten nach Ansicht des OLG Stuttgart ein Schaden nur insoweit entstanden sein kann, als er bei rechtzeitiger Terminsabsage einen „Ersatzpatienten“ hätte behandeln können und behandelt hätte, den er tatsächlich nicht behandeln konnte und auch später nicht behandelt hat. Dies muss im Rahmen des § 252 Satz 2 BGB zumindest als wahrscheinlich anzunehmen sein.
Gemäß § 252 BGB kann der (Zahn-)Arzt denjenigen entgangenen Gewinn als Schaden ersetzt verlangen, welcher nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Damit genügt zwar auch hinsichtlich der Schadensverursachung ein geringerer Grad an Sicherheit als er im Allgemeinen im Schadensrecht erforderlich ist. Es darf aber dennoch der allgemeine schadensersatzrechtliche Grundsatz nicht außer Betracht bleiben, wonach sich jeder Schaden i.S. der §§ 249 ff. BGB aus einem Vergleich der tatsächlichen Vermögenslage mit derjenigen Vermögenslage errechnet, die bestünde, wenn das zum Ersatz verpflichtende schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre (sog. Differenzhypothese). Auch im Rahmen der §§ 252 BGB, 287 ZPO ist daher der maßgebliche Bezugspunkt der Schadensfeststellung stets die Frage, wie der (hypothetische) Verlauf – wahrscheinlich – gewesen wäre, wenn sich der Schädiger pflichtgemäß verhalten hätte. Dies ist nicht erst eine Frage des rechtmäßigen Alternativverhaltens, sondern im Rahmen der Kausalität zu berücksichtigen. Insoweit ist zugleich einer abstrakten Schadensberechnung die Grenze gesetzt, so dass es im vorliegenden Fall auf die durchschnittlichen Stundenumsätze der Praxis des Arztes erst ankommen kann, wenn mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststeht, dass in der fraglichen Zeit andere Patienten hätten behandelt werden können, wenn der Patient rechtzeitig – jedenfalls 24 Stunden vorher – den Termin abgesagt hätte.
Daher müsste der Arzt für einen Schadensersatzanspruch schlüssig dartun, dass ihm durch die verspätete Absage des Patienten überhaupt ein Verdienstausfall entstanden ist. Dies wäre nur der Fall, wenn er bei einer Absage bis zu 24 Stunden vor der Behandlung (wie sie der Arzt in dem konkreten Fall von seinen Patienten verlangt hatte), die Möglichkeit gehabt hätte, einen bestimmten anderen Patienten in der frei gewordenen Zeit zu behandeln, den er tatsächlich nicht, auch nicht später, behandeln konnte oder wenn er behauptet und konkret belegt hätte, dass dies dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge entspricht. Beides ist aber regelmäßig nicht der Fall.
Die allgemeine Behauptung, durch die Absage sei er an der Behandlung anderer Patienten gehindert gewesen, führt nicht weiter, weil dies allein nicht bedeutet, dass dem Kläger zahnärztliches Honorar eines anderen Patienten deshalb in seiner Praxis entgangen ist, vielmehr ist eher davon auszugehen, dass dieser Ersatzpatient auch so – nur eben zu einem späteren Termin – von dem Arzt behandelt wurde.
Fazit:
Alles in allem also kein absoluter Freispruch für wankelmütige Patienten, aber einen Anspruch des Arztes dürfte es gleichwohl nur in ganz seltenen Fällen geben – zumindest dann, wenn der Patient den Termin noch kurz vorher telefonisch mit dem Arzt verlegt hat.
Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 17. April 2007 – 1 U 154/06