Das Landgericht Stuttgart vertritt in einer aktuellen Entscheidung die Auffassung, dass die sog. Mietpreisbremse in Baden-Württemberg unwirksam ist.
Die Bundesländer haben die Möglichkeit, eine „Mietpreisbremse“ in Ballungsgebieten einzuführen, d.h. es können Beschränkungen für die Erhöhung der Miete im Rahmen von Neuvermietungen oder Weitervermietungen eingeführt werden.
In § 556d BGB wird dies so geregelt:
(1) Wird ein Mietvertrag über Wohnraum abgeschlossen, der in einem durch Rechtsverordnung nach Absatz 2 bestimmten Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt liegt, so darf die Miete zu Beginn des Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete (§ 558 Absatz 2) höchstens um 10 Prozent übersteigen.
(2) Die Landesregierungen werden ermächtigt, Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten durch Rechtsverordnung für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu bestimmen. Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten liegen vor, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen in einer Gemeinde oder einem Teil der Gemeinde zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn (…).
Eine Rechtsverordnung nach Satz 1 muss spätestens am 31. Dezember 2020 in Kraft treten. Sie muss begründet werden. Aus der Begründung muss sich ergeben, auf Grund welcher Tatsachen ein Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt im Einzelfall vorliegt. Ferner muss sich aus der Begründung ergeben, welche Maßnahmen die Landesregierung in dem nach Satz 1 durch die Rechtsverordnung jeweils bestimmten Gebiet und Zeitraum ergreifen wird, um Abhilfe zu schaffen.
Von dieser Verordnungsermächtigung haben die meisten Bundesländer Gebrauch gemacht – auch das Land Baden-Württemberg.
Die entsprechende Verordnung des Landes Baden-Württemberg ist indes nach Auffassung des Landgerichts Stuttgart unwirksam.
Nach der Entscheidung des Landgerichts Stuttgart liegt eine wirksame Rechtsverordnung zur Bestimmung des Gebiets mit angespannten Wohnungsmärkten nach § 556d Abs. 2 BGB nicht vor und die Vorschriften der „Mietpreisbremse“ gelten somit nicht.
Eine Verordnung der Landesregierung zur Bestimmung von Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten nach § 556d Abs. 2 BGB wird von den Zivilgerichten in Mietstreitigkeiten inzident auf die Rechtmäßigkeit überprüft1. Im Falle der Rechtswidrigkeit findet die Verordnung keine Anwendung.
Die Verordnung muss nach den Vorschriften des § 556d Abs. 2 Satz 5 bis 7 BGB begründet werden. Die von der Landesregierung Baden-Württemberg am 29.09.2015 erlassene Mietpreisbegrenzungsverordnung Baden-Württemberg2 ist nach Auffasung des Landgerichts Stuttgart mangels ordnungsgemäßer Begründung formell rechtswidrig und deshalb nichtig.
Anders als das Amtsgericht Stuttgart3 begründet das Landgericht Stuttgart als Berufungsinstanz die Annahme der Unwirksamkeit nicht mit einer inhaltlich unzureichenden Begründung. Zwar folgt das Landgericht Stuttgart der Auffassung des Amtsgerichts Stuttgart, dass sich aus der Begründung einer Verordnung nach § 556d Abs. 2 BGB ergeben muss, warum die jeweilige Gemeinde oder auch ein Gemeindeteil in die Verordnung aufgenommen wurde4. Allerdings hat der Streithelfer (das Land Baden-Württemberg) im Berufungsverfahren den Begründungstext zur Verordnung samt einer Anlage mit Daten zu den einzelnen betroffenen Gemeinden vorgelegt. Damit ist nun für jede einzelne Gemeinde erkennbar, aufgrund welcher Daten diese in den Geltungsbereich der Verordnung aufgenommen wurde.
Die formelle Rechtswidrigkeit der Verordnung ergibt sich nach Auffassung des Landgerichts Stuttgart aber jedenfalls daraus, dass die Begründung nicht veröffentlicht wurde.
Eine Verordnung der Landesregierung zur Bestimmung von Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt bedarf zu ihrer Wirksamkeit einer Veröffentlichung der Begründung5. Das Begründungserfordernis soll die Entscheidung der Landesregierung nachvollziehbar machen, insbesondere im Hinblick darauf, aufgrund welcher Tatsachen die Gebiete bestimmt wurden und welche Begleitmaßnahmen ge-plant sind, um die Anspannung der Wohnungsmärkte zu beseitigen6. Die Begründung dient zudem dem Grundrechtsschutz, insbesondere dem Schutz des durch die Einschränkung der Freiheit der ökonomischen Nutzung betroffenen Eigentums der Vermieter nach Art. 14 GG. Die Begründung soll den Verordnungsgeber zur Selbstkontrolle anhalten sowie eine Kontrolle durch den Betroffenen7 und letztlich auch durch die Zivilgerichte ermöglichen. Könnte die Begründung ein Verwaltungsinternum bleiben, wäre die Anordnung einer Begründungspflicht überflüssig; in diesem Fall wäre es nicht möglich, gerichtlich zu überprüfen, ob die Anforderungen des § 556d Abs. 2 Satz 6 und 7 BGB eingehalten sind8. Der Betroffene ist ohne Zugriff auf die vollständige Begründung nicht im Stande, die ihm auferlegte Beschränkung nachzuvollziehen, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen und die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs abzuschätzen. Spiegelbildlich sind auch die zur Entscheidung über die Wirksamkeit der Verordnung berufenen Zivilgerichte nur dann in der Lage, über die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu befinden, wenn ihnen die Parteien den nötigen Prozessstoff vortragen können.
Eine Veröffentlichung der Begründung zur Mietpreisbegrenzungsverordnung Baden-Württemberg ist nicht erfolgt. Eine Veröffentlichung der Begründung setzt voraus, dass diese für den Bürger und die Gerichte öffentlich zugänglich ist9. Die Veröffentlichung der Begründung mit der Verordnung in einem einheitlichen Erlass ist dabei nicht erforderlich10.
Eine förmliche Veröffentlichung der Begründung ist nach Auskunft des Streithelfers (das ist das Land Baden-Württemberg) nicht erfolgt. Soweit der Streithelfer vorträgt, man habe die fragliche Begründung auf Anfrage herausgegeben, reicht dies nicht aus, um von einer Veröffentlichung nach obigen Maßstäben auszugehen. Eine solche Anfrage setzt nämlich regelmäßig voraus, dass der um Auskunft Ersuchende überhaupt um die Existenz der Begründung und um die Chance ihrer Offenlegung im Einzelfall weiß. Mit Blick auf die oben genannten inhaltlichen Anforderungen der Begründung stellt dies eine Hürde dar, die der Gesetzgeber beim Erlass der Verordnungsermächtigung gerade vermeiden wollte. Zudem wurde die Anlage nach Mitteilung des Streithelfers im Regelfall ohne die statistischen Daten zu den einzelnen Gemeinden in der Anlage herausgegeben. Die Daten seien nur mitgeteilt worden, wenn gezielt danach gefragt worden sei. Ohne diese Daten liegt aber nach dem oben Gesagten eine ausreichende Begründung nicht vor. Zu einer gezielten Nachfrage haben die Betroffenen allerdings keinen Anlass. Zudem konnte der Betroffene mit einer Herausgabe der Daten gar nicht rechnen, nachdem vom Wirtschaftsministerium in einer veröffentlichten Antwort auf eine Kleine Anfrage mitgeteilt worden war, dass das Ministerium bzgl. externen Datenmaterials an Lizenzen mit Einschränkungen hinsichtlich einer Veröffentlichung gebunden sei. Dass die Daten dem Kreis der Betroffenen nicht ausreichend zugänglich gemacht waren, zeigt sich in dem vorliegenden Rechtstreit auch daran, dass erst in zwei-ter Instanz geklärt werden konnte, dass eine Begründung mit Daten zu den einzelnen Gemeinden vorliegt. Entgegen dem Streithelfer führt auch ein Vergleich mit § 10 Abs. 3 Satz 2 BauGB zu keinem anderen Ergebnis. Es ist insbesondere zu berück-sichtigen, dass für das Planungsverfahren vor Erlass eines Bebauungsplans die Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 2 BauGB vorgesehen ist. § 10 Abs. 3 Satz 2 BauGB legt die Einsicht auf Anfrage somit nur vor dem Hintergrund fest, dass die Begründung vorher für mindestens 30 Tage nach ortsüblicher Bekanntmachung öffentlich ausgelegt wurde.
Dass in dem Verfahren eine Begründung existiert und bei der Gemeinde einsehbar ist, ist in diesem Fall gesetzlich geregelt und den Beteiligten bekannt. Bei der Begründung zur Mietpreisbegrenzungsverordnung ist dies indes nicht der Fall.
Schließlich ist eine Begründung auch nicht durch Veröffentlichung der Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Kleine Anfrage erfolgt – so das Landgericht Stuttgart weiter. Die Antwort enthält schon deshalb keine ordnungsgemäße Begründung, weil es auch hier an der Angabe von Daten für die einzelnen betroffenen Gemeinden fehlt. Ob die Beantwortung einer Kleinen Anfrage eine mögliche Form der Veröffentlichung einer Begründung nach § 556d Abs. 2 BGB ist, erscheint zweifelhaft, kann aber dahingestellt bleiben.
Der Verstoß gegen das Veröffentlichungserfordernis zieht die Unwirksamkeit der Verordnung nach sich11. Dies ist die regelmäßige Folge bei Verstößen einer Rechtsverordnung gegen höherrangige – auch einfachgesetzliche – formelle Anforderungen an den Erlass der Verordnung. Zwar mag man die Nichtigkeitsfolge bei einem Verfahrensfehler davon abhängig machen, ob die Evidenz des Verstoßes oder der Zweck der formellen Vorgabe die Nichtigkeit erfordern12. Aus der besonderen Bedeutung, die der Gesetzgeber in § 556d Abs. 2 BGB dem Begründungserfordernis mit Blick auf den Eigentumsschutz beigemessen hat, ergibt sich aber auch bei Anwendung dieses Maßstabs die Nichtigkeitsfolge.
Landgericht Stuttgart, Urteil vom 06.03.2019 – 13 S 181/18
- BVerfG, Beschluss vom 14.04.2016 – 1 BvR 243/16; BGH, Urteil vom 04.11.2015 – VIII ZR 217/14; Börstinghaus, in: Blank/Börstinghaus § 556d Rn 41; Lehmann-Richter, WuM 2015, 204, 211 [↩]
- MietBgVO BW, GBl. 2015, 852 [↩]
- AG Stuttgart, Urteil vom 30.10.2018 – 35 C 2110/18 [↩]
- LG München, Urteil vom 06.12.2017 – 14 S 10058/17; Börstinghaus, in: Blank/Börstinghaus § 556d BGB Rn 22; Emmerich, in: Staudinger § 556d BGB Rn 40; Schuldt, NZM 2018, 257, 262 [↩]
- LG Hamburg, Urteil vom 14.06.2018 – 333 S 28/17; LG Frankfurt, Urteil vom 27.03.2018 – 2-11 S 183/17; LG Berlin, Urteil vom 20.06.2018 – 64 S 199/17; LG München I, Urteil vom 06.12.2017 – 14 S 10058/17; AG Potsdam, Urteil vom 27.09.2018 – 23 C 93/17 [↩]
- BT-Drs. 18/3121, S. 28 [↩]
- LG Hamburg, Urteil vom 14.06.2018 – 333 S 28/17 [↩]
- wie hier die Äußerung der Bundesregierung in BT-Drs. 19/5415, S. 7 [↩]
- Börstinghaus, in: Schmidt/Futterer § 556d BGB Rn 39; Abramenko, ZRP 2018, 34, 35; Schuldt, NZM 2018, 257, 262 [↩]
- LG München I, Urteil vom 06.12.2017 – 14 S 10058/17; Schuldt, NZM 2018, 257, 262 [↩]
- LG München I, Urteil vom 06.12.2017 – 14 S 10058/17; LG Hamburg, Urteil vom 14.06.2017 – 333 S 28/17; Schuldt, NZM 2018, 257, 264 [↩]
- so LG München I, Urteil vom 06.12.2017 – 14 S 10058/17 [↩]