Nachbarschaftsstreitigkeiten sind für alle Beteiligten immer ein Quell der Freude …
Ein Thema in diesem Bereich sind überhängende Äste.
Nach § 1004 BGB hat ein Grundstückseigentümer einen Anspruch darauf, dass der Nachbar herrüberragende Äste entfernt.
Wann aber verjährt dieser Anspruch? Kann sich der Nachbar des Eigentümers des betreffenden Baumes eventuell aufgrund § 26 Abs. 3 NRG BW darauf zurückziehen, dass dieser Anspruch unverjährbar sei?
Dieser Idee hat der Bundesgerichtshof nun eine Absage erteilt und ausgeurteilt, dass der Anspruch des Grundstückseigentümers auf Zurückschneiden herüberragender Äste aus § 1004 Abs. 1 BGB nicht nach § 26 Abs. 3 NRG BW unverjährbar ist.
Er unterliegt vielmehr der regelmäßigen Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 BGB, also von drei Jahren.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerictshofs findet die Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach Ansprüche aus eingetragenen Rechten nicht der Verjährung unterliegen, auf den Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB keine Anwendung1. Sie erfasst nur die der Verwirklichung des eingetragenen Rechts, jedoch nicht die der Abwehr von Störungen bei dessen Ausübung dienenden Ansprüche2. An dieser Rechtsprechung hält der Bundesgerichtshof trotz der im Schrifttum geäußerten Kritik3 fest. Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Anwendung oder Nichtanwendung der Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB ist deren Zweck, den Bestand der im Grundbuch eingetragenen Rechte dauerhaft zu sichern. Unverjährbar sind deshalb alle Ansprüche, die der Verwirklichung des eingetragenen Rechts selbst dienen und sicherstellen, dass die Grundbucheintragung nicht zu einer bloßen rechtlichen Hülse wird. Geht es dagegen nur um eine Störung in der Ausübung des Rechts, welche die dem Grundstückseigentümer zustehende Rechtsmacht (§ 903 BGB) unberührt lässt, steht der Schutzzweck des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB der Möglichkeit der Verjährung eines auf Beseitigung der Störung gerichteten Anspruchs nicht entgegen4.
Unabhängig von dem der Verjährung unterliegenden Anspruch aus § 1004 BGB steht dem Eigentümer eines Grundstücks das Selbsthilferecht des § 910 BGB zu, wonach er die von einem Nachbargrundstück herüberragenden Zweige abschneiden und behalten kann5.
Eine andere Beurteilung der Verjährung folgt nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach eine Verjährung von Unterlassungsansprüchen nicht in Betracht kommt, wenn eine einheitliche Dauerhandlung vorliegt, die den rechtswidrigen Zustand fortlaufend aufrechterhält und die die Verjährungsfrist deshalb gar nicht in Gang setzt, oder wenn es sich um wiederholte Störungen handelt, die jeweils neue Ansprüche begründen6. Um einen solchen Fall handelt es sich bei der von herüberragenden Ästen ausgehenden Störung nicht; die gegenteilige Ansicht des Landgerichts Krefeld7 trifft nicht zu. Der Anspruch auf Beseitigung der Störung entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Eigentumsbeeinträchtigung (§ 910 Abs. 2 BGB) infolge des Wachstums der Äste einsetzt8. Nimmt der Nachbar den störenden Zustand länger als drei Jahre hin, kann er die Beseitigung im Interesse des Rechtsfriedens, der durch die Verjährung geschaffen werden soll9, nicht mehr verlangen – so der Bundesgerichtshof weiter.
Durch den kenntnisabhängigen Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist nach § 199 BGB ist er vor einem unerwarteten Rechtsverlust geschützt.
Einschlägig ist die dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB nF (Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB, § 199 Abs. 1 BGB).
Der Anspruch des Grundstückseigentümers auf Zurückschneiden herüberragender Äste aus § 1004 Abs. 1 BGB ist, wie das Landgericht Ravensburg als Berufungsgericht richtig sieht10, so der Bundesgerichtshof weiter, nicht nach § 26 Abs. 3 NRG BW unverjährbar. Nach dieser Vorschrift ist zwar der Anspruch auf das Zurückschneiden von Hecken, auf Beseiti-gung herüberragender Zweige und eingedrungener Wurzeln sowie auf Verkür-zung zu hoch gewachsener Gehölze der Verjährung nicht unterworfen. Die Bestimmung erfasst aber nicht sich unmittelbar aus § 1004 Abs. 1 BGB ergebende Beseitigungsansprüche.
Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, der Systematik und der Entstehungsgeschichte von § 26 Abs. 3 NRG BW. Die Vorschrift ist im Zusammenhang mit § 26 Abs. 1 NRG BW zu sehen, der in seinem Einleitungssatz ausdrücklich bestimmt, dass eine Verjährungsregelung nur für „Beseitigungsansprüche nach diesem Gesetz“ getroffen werden soll. Der Landesgesetzgeber wollte mit der Neufassung von § 26 Abs. 1 NRG BW durch Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes zur Änderung des Nachbarrechtsgesetzes vom 26.07.1995 die Verjährungsfrist für alle Beseitigungsansprüche, die sich aus dem Nachbarrechtsgesetz ergeben können, einheitlich auf zehn Jahre festlegen. Die frühere Bestimmung über die Verjährungsfrist von zehn Jahren bezog sich hingegen nur auf Beseitigungsansprüche hinsichtlich Einfriedungen, Hecken, Bäume und dergleichen (§§ 11 bis 18 NRG BW), während für andere Beseitigungsansprüche, z.B. wegen Nichteinhaltung von Abständen nach §§ 8 bis 10 NRG BW, die allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff. BGB aF gal-ten, so dass sie 30 Jahre nach ihrem Entstehen verjährten. Diese Differenzierung wurde als nicht gerechtfertigt angesehen11. Erfasst § 26 Abs. 1 NRG BW nur Ansprüche aus dem Landesrecht, kann für § 26 Abs. 3 NRG BW nichts anderes gelten. In diesem Sinne wird die Vorschrift nach allgemeiner und zutreffender Ansicht auch verstanden12.
Nur ein solches Verständnis der Vorschrift des § 26 Abs. 3 NRG BW entspricht nach Auffassung des Bundesgerichtshofs zudem dem Gebot verfassungskonformer Auslegung13, weil sie die Nichtigkeit der landesrechtlichen Regelung wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Landes vermeidet.
Eine landesgesetzliche Regelung kann zwar, wie Art. 124 EGBGB zeigt, das Grundstückseigentum zugunsten des Nachbarn weitergehenden Beschränkungen unterwerfen14. Dem Nachbarn stehen grundsätzlich Abwehr- und Beseitigungsansprüche nach § 1004 BGB auch hinsichtlich solcher weitergehenden Beschränkungen zu. Voraussetzungen, Inhalt und Umfang des Anspruchs aus § 1004 BGB im Einzelnen ergeben sich dann aus den Vorschriften des Landesrechts15. Der Landesgesetzgeber kann deshalb die Verjährung eines solchen Anspruchs abweichend vom Bürgerlichen Gesetzbuch regeln; er kann die Verjährung auch ausschließen16.
Art. 124 EGBGB ermächtigt den Landesgesetzgeber – so der Bundesgerichtshof weiter – aber nicht, Inhalt und Umfang des Anspruchs wegen einer unmittelbar von § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB erfassten Eigentumsbeeinträchtigung abweichend vom Bürgerlichen Gesetzbuch zu regeln.
Der Landesgesetzgeber kann zum einen nicht dem Nachbarn Rechte nehmen, die sich aus § 1004 Abs. 1 BGB ergeben. Bestimmungen über die Verjährung eines für den Nachbarn vorteilhafteren landesrechtlichen Anspruchs bleiben deshalb auf ihren Anwendungsfall beschränkt und lassen konkurrierende Ansprüche nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch unberührt. Insbesondere führt die erfolgreiche Erhebung der auf eine landesrechtliche Bestimmung ge-stützten Verjährungseinrede nicht dazu, dass deshalb eine von der bundes-rechtlichen Vorschrift des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB unmittelbar erfasste Eigen-tumsbeeinträchtigung hingenommen werden müsste17.
Der Landesgesetzgeber kann zum anderen nicht Art und Umfang der Ansprüche wegen einer von § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB erfassten Eigentumsbeeinträchtigung zugunsten des Nachbarn erweitern und Ausnahmen von den Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs gewähren, so der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung18. Dafür fehlt ihm – vorbehaltlich weiterer Regelungen im EGBGB (Art. 1 Abs. 2 EGBGB) – die Gesetzgebungskompetenz. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG sieht eine konkurrie-rende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Gebiet des Bürgerlichen Rechts vor; hiervon hat dieser für § 1004 BGB mit den §§ 194 ff. BGB umfassend Gebrauch gemacht.
Um einen Beseitigungsanspruch aus dem Landesnachbarrecht Baden-Württemberg, der neben den Anspruch aus § 1004 BGB treten könnte, geht es hier nicht, so der Bundesgerichtshof weiter.
Das Landesrecht gewährt zwar Ansprüche auf Rückschnitt für Hecken in § 12 Abs. 2 und 3 NRG BW sowie für sonstige Gehölze (Bäume, Sträucher und andere Gehölze) in § 16 Abs. 3 NRG BW, wenn bei einer bestimmten Höhe der Grenzabstand nicht eingehalten ist, unabhängig davon, ob die Missachtung dieser Vorgaben zu einer Eigentumsbeeinträchtigung des Nachbargrundstückes im Sinne des § 1004 BGB führt. Auf eine Grenzabstandsregelung stützt die Klägerin das Verlangen auf Beseitigung der Äste aber nicht.
Besondere Ansprüche auf Zurückschneiden herüberragender Äste regelt das Landesnachbarrecht für bestimmte Bäume, und zwar Obstbäume (§ 23 Abs. 1 und 2 NRG BW; ausgenommen ist gemäß § 35 NRG BW der Geltungsbereich des badischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, für Bäume an öffentlichen Wegen (§ 25 NRG BW) und – im Geltungsbereich des württembergischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch – für Bäume von Waldgrundstücken (§ 34 NRG BW). Die Vorschriften sind hier nicht einschlägig, weil es sich nicht um einen solchen Baum handelt. Es kann deshalb dahinstehen, ob und inwieweit sich aus den Vorbehalten der Art. 122, Art. 111 bzw. Art. 183 EGBGB eine Befugnis der Landesgesetzgeber für die genannten Regelungen ergibt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.02.2019 – V ZR 136/18
ECLI:DE:BGH:2019:220219UVZR136.18.0
- BGH, Urteile vom 28.01.2011 – V ZR 141/10, NJW 2011, 1068; vom 28.01.2011 – V ZR 147/10, NJW 2011, 1069; vom 12.06.2015 – V ZR 168/14, NJW-RR 2016, 24; vom 11.12.2015 – V ZR 180/14, NZM 2016, 360 [↩]
- Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.01.2011 – V ZR 147/10 [↩]
- jurisPK-BGB/Toussaint, 8. Aufl., § 902 Rn. 13; Staudinger/Gursky, BGB [2013], § 902 [↩]
- BGH, Urteil vom 28.01.2011 – V ZR 141/10, NJW 2011, 1068 [↩]
- BGH, Urteile vom 23.02.1973 – V ZR 109/71, BGHZ 60, 235, 241 f.; vom 07.03.1986 – V ZR 92/85, BGHZ 97, 231, 234; vom 28.11.2003 – V ZR 99/03, NJW 2004, 603 [↩]
- BGH, Beschluss vom 16.06.2011 – V ZA 1/11, ZfIR 2011, 757; BGH, Urteile vom 08.05.2015 – V ZR 178/14, NJW-RR 2015, 781; vom 12.06.2015 – V ZR 168/14, NJW-RR 2016, 24 [↩]
- LG Krefeld, MDR 2018, 989 [↩]
- BGH, Urteile vom 08.06.1979 – V ZR 46/78, WM 1979, 1219; vom 12.12.2003 – V ZR 98/03, NJW 2004, 1035; OLG Karlsruhe, Justiz 2010, 69; LG Freiburg, NJOZ 2015, 727, 728; Palandt/Herrler, BGB, 78. Aufl., § 1004 Rn. 45 [↩]
- BGH, Urteil vom 08.12.2017 – V ZR 16/17, NJW-RR 2018, 394 [↩]
- LG Ravensburg, Urteil vom 26.04.2018 – 1 S 178/17 [↩]
- LT-Drs. 11/1481 S. 15 [↩]
- OLG Karlsruhe, Justiz 2010, 69; LG Freiburg, NJOZ 2015, 727, 728; Birk, Nachbarrecht für Baden-Württemberg, 6. Aufl., § 26 Einleitung; Bruns, Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg, 4. Aufl., Einl. Rn. 41 u. § 26 Rn. 33; Pelka, Das Nachbarrecht in Baden-Württemberg, 21. Aufl., S. 135 [↩]
- BGH, Urteil vom 21.10.2011 – V ZR 10/11, NJW-RR 2012, 346 [↩]
- BGH, Urteil vom 12.12.2003 – V ZR 98/03, NJW 2004, 1035; BGH, Beschluss vom 04.03.2010 – V ZB 130/09, NJW-RR 2010, 807 [↩]
- BGH, Urteile vom 12.06.2015 – V ZR 168/14, NJW-RR 2016, 24; vom 21.09.2018 – V ZR 302/17 [↩]
- Dehner, Nachbarrecht [Mai 2013], B § 22 II 3f aE [↩]
- BGH, Beschluss vom 04.03.2010 – V ZB 130/09, NJW-RR 2010, 807 [↩]
- so auch Dehner, Nachbarrecht [Mai 2013], B § 22 II 3f [↩]