Das Finanzgericht Düsseldorf hat europarechtliche Zweifel an der Erhebung von Mitarbeiter-Steuerdaten durch den Zoll und hat deshalb in einer aktuellen Entscheidung eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union formuliert:
„Ist Artikel 24 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 der Kommission vom 24. November 2015 mit Einzelheiten zur Umsetzung von Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union dahin auszulegen ist, dass es der Zollbehörde hiernach gestattet ist, den Antragsteller aufzufordern, die vom deutschen Bundeszentralamt für Steuern für die Erhebung der Einkommensteuer zugeteilten Steueridentifikationsnummern und die für die Veranlagung zur Einkommensteuer zuständigen Finanzämter hinsichtlich der Mitglieder des Aufsichtsrats des Antragstellers und der bei diesem tätigen geschäftsführenden Direktoren, Abteilungsleiter, Leiter der Buchhaltung, Leiter der Zollabteilung sowie der für Zollangelegenheiten verantwortlichen Personen und der Personen, die Zollangelegenheiten bearbeiten, mitzuteilen.“
So lautet die etwas sperrig scheinende Formulierung eines Vorlagebeschlusses des Finanzgerichts Düsseldorf an den Gerichtshof der Europäischen Union.
Kurz gesagt: Das Finanzgericht Düsseldorf hat dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage vorgelegt, ob es mit Europäischem Recht vereinbar ist, dass die Zollbehörden Unternehmen zur Mitteilung der Steuerdaten der Mitglieder ihrer Aufsichtsräte und (leitenden) Angestellten auffordern.
In dem konkreten Fall ist das klagende Unternehmen Inhaber sog. zollrechtlicher Bewilligungen, die eine Erleichterung des Zollverkehrs bewirken. Das beklagte Hauptzollamt bat die Klägerin, den im Internet abrufbaren „Fragenkatalog zur Selbstbewertung“ binnen eines Monats zu beantworten. Darin wird insbesondere um Angabe von (Vor)Namen, Geburtsdatum, Steueridentifikationsnummer und zuständigem Finanzamt der Mitglieder von Bei- und Aufsichtsräten, der wichtigsten Führungskräfte, der für Zollangelegenheiten verantwortlichen Personen sowie der Zollsachbearbeiter gebeten. Ohne Mitwirkung könnten die Bewilligungsvoraussetzungen nicht festgestellt werden; unbefristete Bewilligungen seien zu widerrufen.
Dagegen richtet sich die Klage des Unternehmens, mit der dieses vor allem datenschutzrechtliche Bedenken geltend macht und sich auf die Unverhältnismäßigkeit der Datenerhebung beruft.
Dem ist das Finanzgericht Düsseldorf beigetreten.
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt nach Auffassung des Finanzgerichts Düsseldorf davon ab, wie Artikel 24 Absatz 1 Unterabsatz 2 UZK-DVO auszulegen ist.
Art. 24 Absatz 1 Unterabsatz 2 Buchstabe b und c UZK-DVO ist nach Auffassung des Finanzgerichts Düsseldorf im Licht des Artikel 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auszulegen1. Gemäß Artikel 8 Absatz 2 Satz 1 der Charta dürfen personenbezogene Daten nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden.
Nach Artikel 4 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)2 sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen3. Die vom beklagten Hauptzollamt abgefragten Steueridentifikationsnummern und für die betreffenden Personen zuständigen Finanzämter sind mithin personenbezogene Daten. Gemäß Artikel 4 Nr. 2 der Datenschutz-Grundverordnung umfasst das Verarbeiten auch das Abfragen von Daten.
Die Datenschutz-Grundverordnung ist am 25.05.2016 in Kraft getreten und gilt ab dem 25.05.2018 (Artikel 99 Absatz 2 der Datenschutz-Grundverordnung). Die Verordnung ist daher auf das vorliegende, noch nicht abgeschlossene Verfahren anzuwenden. Unbeschadet dessen entfaltet ein Gesetzgebungsakt der Union für die Mitgliedstaaten schon vom Zeitpunkt seiner Bekanntgabe an Rechtswirkungen4.
Das Finanzgericht Düsseldorf hat Zweifel daran, dass das Abfragen der personenbezogenen Daten der Steueridentifikationsnummern und der für die Veranlagung zur Einkommensteuer zuständigen Finanzämter hinsichtlich der von der deutschen Zollverwaltung unter 1.1.2 Buchstabe c, 1.1.6 und 1.3.1 des Fragekatalogs bezeichneten Personen noch eine zulässige Verarbeitung dieser Daten für festgelegte Zwecke im Sinne des Artikel 8 Absatz 2 Satz 1 der Charta der Grundrechte ist.
848514. Artikel 8 der Charta erfordert, dass eine personenbezogene Daten betreffende Unionsregelung klare und präzise Regeln für die Tragweite einer Maßnahme vorsehen muss5.
Nach Artikel 52 Absatz 1 Satz 2 der Charta müssen Einschränkungen des durch Artikel 8 Absatz 1 der Charta garantierten Rechts auf Schutz personenbezogener Daten unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf das absolut Notwendige beschränkt sein6. Dies wird durch Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Datenschutz-Grundverordnung dahingehend konkretisiert, dass personenbezogene Daten nur für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben und nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden dürfen. Nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe e der Datenschutz-Grundverordnung ist die Verarbeitung personenbezogener Daten zwar rechtmäßig, wenn sie für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt. Beruht die Verarbeitung zu einem anderen Zweck als zu demjenigen, zu dem die personenbezogenen Daten erhoben wurden, nicht auf der Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer Rechtsvorschrift der Union oder der Mitgliedstaaten, so sind jedoch nach Artikel 6 Absatz 4 Buchstabe a und b der Datenschutz-Grundverordnung jede Verbindung zwischen den Zwecken, für welche die personenbezogenen Daten erhoben wurden, und den Zwecken der beabsichtigten Weiterverarbeitung sowie der Zusammenhang, in dem die personenbezogenen Daten erhoben wurden, zu berücksichtigen.
Nach Ansicht des Finanzgerichts Düsseldorf ist es zweifelhaft, ob es nach diesen Maßstäben zwingend erforderlich ist, auf die für andere Zwecke erhobenen personenbezogenen Daten der Arbeitnehmer und Mitglieder des Aufsichtsrats der Klägerin zurückzugreifen, um Auskünfte bei den für deren Veranlagung zur Einkommensteuer zuständigen Finanzämtern einholen zu können. Die Steueridentifikationsnummern der bei der Klägerin tätigen Beschäftigten, die vom Bundeszentralamt für Steuern zugeteilt worden sind (§ 139a Absatz 1 Satz 1 AO), sind nur zu dem Zweck der Erhebung der Einkommensteuer in Gestalt des Lohnsteuerabzugs erhoben und gespeichert worden (§ 39e Absatz 4 Satz 1 Nr. 1 EStG). Die zu diesem Zweck erhobenen personenbezogenen Daten der Arbeitnehmer der Klägerin stehen deshalb in keiner direkten Verbindung zu der Beurteilung ihrer zollrechtlichen Zuverlässigkeit selbst. Insbesondere haben die personenbezogenen Daten der Arbeitnehmer der Klägerin, die für die Zwecke der Erhebung der Einkommensteuer in Gestalt des Lohnsteuerabzugs erhoben wurden, keinen Bezug zu der wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin selbst. Dies ist zwar ein Tatbestandsmerkmal, das in Artikel 24 Absatz 1 Unterabsatz 2 UZK-DVO im Zusammenhang mit den schweren strafrechtlichen Verstößen genannt wird. Es stellt sich für das Finanzgericht Düsseldorf jedoch die Frage, ob Artikel 8 der Charta der Grundrechte es gebietet, eine ähnliche Einschränkung auch für die dort genannten Verstöße gegen steuerrechtliche Vorschriften anzunehmen. Dies ist offenbar auch die Auffassung der Europäischen Kommission, die sie in ihren Leitlinien zum Zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten vom 11.03.2016 (TAXUD/B2/047/2011-Rev.6 unter 2.1.1.) vertritt.
909117. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob es Artikel 8 Absatz 1 der Charta unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässt, die personenbezogenen Daten der Steueridentifikationsnummern und der für die Veranlagung zur Einkommensteuer zuständigen Finanzämter hinsichtlich sämtlicher von der deutschen Zollverwaltung genannten Personen abzufragen. Der Kreis der mit den Fragen unter 1.1.6 und 1.3.1 bezeichneten Personen geht nicht über den Kreis der Personen hinaus, hinsichtlich derer nach Anhang 6 zu Artikel 5 Absatz 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/341 (UZK-ÜDelVO) der Kommission vom 17.12.2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Übergangsbestimmungen für bestimmte Vorschriften des Zollkodex der Union, für den Fall, dass die entsprechenden elektronischen Systeme noch nicht betriebsbereit sind, und zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 (ABl. EU Nr. L 69/1) Auskünfte zu erteilen sind. In Anhang 6 zu Artikel 5 Absatz 2 UZK-ÜDelVO werden unter Nr. 19 der Erläuterungen hinsichtlich der vom Antragsteller zu erteilenden Auskünfte zu Nr. 8 und 9 diejenigen Personen aufgeführt, die auch unter 1.1.6 und 1.3.1 des Fragenkatalogs zur Selbstbewertung Teil I – Informationen über das Unternehmen – genannt worden sind. Anderes gilt allerdings für die unter 1.1.2 Buchstabe c des Fragenkatalogs genannten Mitglieder des Aufsichtsrats, die in Anhang 6 zu Artikel 5 Absatz 2 UZK-ÜDelVO nicht auftauchen. Nach Auffassung des Finanzgerichts Düsseldorf ist es fraglich, ob es absolut notwendig ist, auch die personenbezogenen Daten etwa der Mitglieder des Aufsichtsrats, der Abteilungsleiter und Leiter der Buchhaltung abzufragen, die als solche nicht mit der Bearbeitung zollrechtlicher Fragen befasst sind.
Finanzgericht Düsseldorf, Beschluss vom 09.08.2017 – 4 K 1404/17 Z
ECLI:DE:FGD:2017:0809.4K1404.17Z.00
- EuGH, Urteil vom 06.10.2015 – C-362/14 [↩]
- ABl. EU Nr. L 119/1 [↩]
- EuGH, Urteil vom 17.10.2013 – Rs. C-291/12, ECLI:EU:C:2013:670 [↩]
- EuGH, Urteil vom 18.12.1997 – C-129/96 [↩]
- EuGH, Urteil vom 08.04.2014 – C-293/12 [↩]
- EuGH, Urteile vom 08.04.2014 – C-293/12; vom 08.04.2014 – C-594/12; vom 11.12.2014 – C-212/13; vom 06.10.2015 – C-362/14 [↩]